Wie wir gemeinsam digital und inklusiv eine Strategie für Berlin mitentwickelt haben
“Wir wollen eine neue Strategie für die Smart City und Digitalisierung Berlins mit der ganzen Stadt schreiben”: So lautete der Wunsch der Berliner Senatskanzlei Ende 2020 zu Beginn der Neuentwicklung einer Berliner Smart City- und Digitalstrategie. Im Dezember 2022 wurde Gemeinsam Digital: Berlin vom Berliner Senat verabschiedet. Wir können voller Stolz sagen, dass zwar nicht alle 3,7 Millionen Berliner:innen aktiv mitgeredet, aber immerhin über 2.000 Menschen an der Strategie mitgewirkt haben. Zudem hatten alle die Chance, per Los für das Stadtgremium ausgewählt zu werden. Der Beteiligungsprozess war komplex, hielt einige Herausforderungen bereit – und wir haben dabei viel gelernt. Damit solche Prozesse in Zukunft leichter angegangen werden können, haben wir die einzelnen Schritte in Modulen festgehalten. Diese möchten wir nun ganz im Sinne unserer lernenden Strategie Gemeinsam Digital: Berlin für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Daher findet ihr ab sofort alle Ansätze und Formate für einen Beteiligungsprozess auf diesem Miro-Board zusammengefasst. Dort könnt ihr den Prozess nachvollziehen, einzelne Abschnitte kopieren, Vorlagen nutzen und für eure Kontexte anpassen.
Wie schreibt die ganze Stadt eine Strategie?
Im Auftrag der Berliner Senatskanzlei und gemeinsam mit Politics for Tomorrow hat das CityLAB als Projekt der Technologiestiftung Berlin in den vergangenen zwei Jahren einen neuen Beteiligungsprozess konzipiert und umgesetzt. Dabei wurde die breite Stadtgesellschaft mit vielfältigen Formaten eingebunden. Der Prozess war aufgeteilt in eine Konzeptionsphase, in der ein Wertekompass für die Smart City und Digitalisierung Berlins entwickelt wurde, sowie eine Ausarbeitungsphase, in der unter anderem die konkreten Handlungsfelder und Maßnahmen ausgearbeitet wurden.

Die Strategie Gemeinsam Digital: Berlin wurde aus der Überzeugung heraus entwickelt, dass die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft nur mit der gesamten Stadtgesellschaft erfolgreich angegangen werden können. Dahinter steht auch ein neues Verständnis von Smart Cities. Eine Stadt ist dann smart, wenn sie die Menschen und andere Lebewesen der Stadt ins Zentrum stellt, die Handlungsbedarfe für eine zukunftsfähige Stadt erkennt und dann im nächsten Schritt Technologie und Digitalisierung dort einsetzt, wo es sinnvoll ist. Dabei müssen auch zukünftige Generationen und Menschen in anderen Regionen mitgedacht werden.
Entlang dieses Wertekompasses haben wir neue partizipative Ansätze zur Strategieentwicklung erprobt, die als Lernerfahrung für die gemeinsame Umsetzung dienen sollen.
Das Herzstück des aufgrund der Corona-Pandemie fast vollständig digital umgesetzten Beteiligungsprozesses zur Entwicklung der Strategie war ein neuartiger Ansatz zur Planung des Prozesses. Dieser Ansatz zeichnet sich durch ein erweitertes Verständnis von Partizipation aus: Um die ganze Stadtgesellschaft zu Wort kommen zu lassen, wurden Formate entwickelt, die gezielt auf einzelne Gruppen der Stadtgesellschaft zugeschnitten waren. Dies war wichtig, um zu vermeiden, dass der Prozess an vielen gesellschaftlichen Gruppen vorbeigeht und nur Personen erreicht, die sich aktiv in Beteiligungsprozesse einbringen. Denn so werden hauptsächlich bereits engagierte Menschen angesprochen, wodurch der Prozess an vielen gesellschaftlichen Gruppen vorbeigeht. Daher haben wir jeweils Formate für fünf Gruppen der Berliner Stadtgesellschaft entwickelt: Politik/Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft, Berliner:innen und sogenannte Stille Gruppen. Unter den Stillen Gruppen verstehen wir Berliner:innen, die sonst nur selten oder schwer in Beteiligungsprozessen zu hören sind: Menschen mit Einschränkungen, Menschen mit Fluchterfahrungen, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, Kinder und Jugendliche sowie Menschen ohne Obdach.
Wie erreichen wir die ganze Stadtgesellschaft?
Über diese Formate haben wir sowohl mit etablierten Smart City-Akteur:innen, als auch mit (neuen) Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft zusammengearbeitet. Dabei haben wir vor allem auf Multiplikator:innen gesetzt. Die breite interessierte Öffentlichkeit konnte regelmäßig auf mein.berlin.de ihre Ideen beitragen und Entwürfe kommentieren sowie bei regelmäßigen Online-Veranstaltungen – etwa den Smart City-Foren – über die Entwicklung der Strategie und die einzelnen inhaltlichen Zwischenschritte diskutieren.

Für die Stillen Gruppen haben wir uns an dem Konzept der “aufsuchenden Beteiligung” orientiert, da Formate wie Umfragen oder digitale Workshops oft zu viel voraussetzen. Daher starteten wir mit Fokusinterviews, für die wir mit Interessenvertretungen der jeweiligen Gruppen zusammengearbeitet haben. In den Einzelinterviews mit Betroffenen konnten Bedürfnisse, Wünsche und der Lebensalltag sowie Perspektiven für die Entwicklung von Zukunftsbildern gesammelt werden.
Die organisierte Zivilgesellschaft spielte eine wichtige Rolle dabei, eine Vielfalt an unterschiedlichen Gruppen zu erreichen. In der Konzeptphase konnten sich zivilgesellschaftliche Organisationen bei uns auf die Durchführung eines Zukunfts-Workshops bewerben. Sie erhielten finanzielle Unterstützung, einen Train-The-Trainer-Workshop zur Moderation von Online-Workshops, sowie ein Workshop-Konzept zur Durchführung und Unterstützung bei der Auswertung. Die Organisationen der zehn Workshops erreichten sehr unterschiedliche Gruppen an Teilnehmenden, da sie ihre je eigenen Zielgruppen aktivierten. Auch für die Verteilung der Umfragen und Veranstaltungseinladungen war es hilfreich, ein breites Netzwerk an Multiplikator:innen zu haben, welches die breite Stadtgesellschaft erreicht.
Wie haben das geloste Bürger:innengremium und die Verwaltung zusammengearbeitet?
In der Ausarbeitungsphase war ein gelostes Gremium das zentrale Format zur Beteiligung der Berliner:innen. Das Stadtgremium bestand aus etwa 70 gelosten Personen, die über mehrere Monate an insgesamt sechs Terminen zu unterschiedlichen Themen gearbeitet und Handlungsbedarfe, Ziele und Maßnahmen mitentwickelt haben. Ergänzt wurde das Stadtgremium durch eine breite Verwaltungsbeteiligung. Im Verwaltungsforum wurde allen interessierten Verwaltungsmitarbeiter:innen die Möglichkeit gegeben, sich freiwillig in den Prozess einzubringen.
Mit diesem Ansatz erprobten wir ein neues Vorgehen für den Dialog zwischen Verwaltung und Berliner:innen. Die Verwaltung konnte so frühzeitig zur Verbündeten des Transformationsprozesses werden und sich als Ermöglicherin positionieren. Die so entstandenen Inhalte waren damit bereits vielen in der Verwaltung bekannt, da sie von ihnen gemeinsam erarbeitet wurden.
Wie haben wir die Online-Formate inklusiv gestaltet?
Die Beteiligung fand bis auf einzelne Formate ausschließlich online statt. Dafür benötigten wir neue Ansätze und Prozesse. Etablierte Formate aus der analogen Beteiligung können zwar auch im Digitalen umgesetzt werden, müssen jedoch berücksichtigen, dass die Teilnehmenden alle sehr unterschiedliche technische Erfahrung und Voraussetzungen mitbringen. Daher haben wir jeweils einen Technik-Check mit kurzer Einführung in die digitalen Tools sowie eine Telefonnummer für den technischen Support eingeplant.
Hilfestellungen reichten von der Ausstattung mit Headsets über individuelle Betreuung zur Teilnahme an Online-Videokonferenzen bis hin zur Kinderbetreuung, der Einbindung einer Übersetzerin und der Einrichtung von E-Mail-Konten. Auch wenn nicht alle Personen bis zum Ende dabei blieben, konnten wir so beobachten, wie stillere Personen und Teilnehmende ohne fließende Deutschkenntnisse wertvolle Perspektiven beitragen konnten.
Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse im Rahmen der Strategieentwicklung von Gemeinsam Digital: Berlin bei zukünftigen Beteiligungsprozessen unterstützen können. Also werft hier einen Blick in die bereitgestellten Module – wir wünschen euch viel Erfolg!
Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag ist eine gekürzte und redaktionell angepasste Version des Artikels “Gemeinsam digital und inklusiv die Stadt gestalten” von Anne Kruse, der am 25.11.2022 bei eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 11/2022 erschienen ist.