Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 19. April 2022 veröffentlicht.
Wie lange ist es her, dass Sie das letzte Mal an einem richtig guten Workshop zum Thema Digitalisierung teilgenommen haben? Also an einem, bei dem Sie die ganze Zeit über engagiert dabei waren, wichtige Erkenntnisse gewinnen konnten und hinterher das Gefühl hatten, Ihre Zeit gut investiert zu haben?
Wenn ihre Antwort „zu lange“ lautet, dann haben wir etwas gemeinsam. Und es liegt vermutlich nicht daran, dass wir zu wenige Workshops besuchen. Seit wir dank Corona gelernt haben, dass es sich in einer Kombination aus Zoom-Calls und Online-Whiteboards auch prima von zuhause „workshoppen“ lässt, hat die Frequenz solcher Termine eher noch zugenommen. Von der Qualität lässt sich das leider nicht sagen, und das empfinde ich zunehmend als Ärgernis.
Natürlich gibt es sie auch im Smart-City-Kontext, die gut moderierten, effizient strukturierten und ergebnisorientierten Workshops. Und sie sind jedes Mal eine Wohltat. Aber sie sind eben auch eine Ausnahme. Viel zu viele dieser Veranstaltungen sind hingegen immer noch ziellos vor sich hinplätschernde Simulationen von Arbeit, die viel kostbare Zeit binden und äußerst dürftige Ergebnisse liefern.
Um das ein wenig zu illustrieren, habe ich aus einigen in letzter Zeit tatsächlich erlebten Versatzstücken einen fiktiven Workshop des Grauens zusammengestellt, der ungefähr wie folgt ablaufen könnte.
Online-Workshops: Was regelmäßig falsch läuft
Angesetzt ist ein Vier-Stunden-Termin am Freitagnachmittag zum Hype-Thema „Digital Twins“. Die Zielsetzung ist vage, eine richtige Agenda gibt es nicht. Dafür wurde sehr breit eingeladen, schließlich sollen alle zuständigen Akteure „an einen Tisch geholt werden“. Im Zoom-Call sind 37 Personen erschienen, wenngleich die meisten von ihnen nicht wissen, warum. Der Organisator des Workshops, der kein Headset benutzt und seine Kamera eigenartig schief positioniert hat, schlägt zunächst eine Vorstellungsrunde vor. Nachdem alle einen Schwank aus ihrem Leben erzählt haben, sind bereits 45 Minuten um.
Nun ist man bereits erheblich im Verzug, also geht es schnell weiter mit einem „Experten-Input“. Eine Vertreterin eines Beratungsunternehmens hat ein paar Folien mitgebracht. Leider klappt es mit dem Bildschirmteilen nicht. Ist aber nicht weiter schlimm, weil der Vortrag ohnehin nicht richtig zum Thema passt. Dafür erfahren wir, dass das Beratungsunternehmen viele Kunden im ganzen Land hat, die viel Geld für diese oder ähnliche Folien bezahlt haben.
Nach der Präsentation herrscht allgemeine Ratlosigkeit, die ein wichtig aussehender Abteilungsleiter für ein ungebetenes Ko-Referat über die Herausforderungen der Digitalisierung im Allgemeinen nutzt. Bevor jemand etwas entgegnen kann, leitet der Moderator, der inzwischen aufgrund technischer Probleme nur noch per Telefon zugeschaltet ist, zur Gruppenarbeit über. In Breakout-Rooms sollen wir nun die „Chancen und Risiken“ von Digital Twins auf bunten Klebezetteln festhalten. Glauben wir zumindest, denn so richtig klar ist der Arbeitsauftrag nicht. Gerade als zum ersten Mal so etwas wie eine Diskussion zu Stande kommen will, ist die Zeit vorbei und wir werden zurück in den Hauptraum katapultiert.
Um den Rahmen der Kolumne nicht zu sprengen, erspare ich Ihnen Details zum weiteren Verlauf, aber sie kennen das ohnehin: Es wird „Blitzlichter“ aus der Gruppenarbeit geben, bei denen niemand zuhört, und am Ende eine Fotodokumentation, die nie jemand anschauen wird. Die Moderation wird sich mit einem schlechten Scherz dafür entschuldigen, dass eine halbe Stunde überzogen wurde und als Fazit festhalten, dass dringend ein weiterer Workshop nötig sei, um die „wertvollen Ergebnisse zu vertiefen“. Und so dreht sich das Hamsterrad weiter.
Workshops sind kein Selbstzweck
Inzwischen ist es leider auch in vielen Smart-City-Projekten üblich, schon die bloße Durchführung von Workshops als valides Resultat oder gar als Erfolg zu betrachten – es soll Sachberichte geben, in denen unter „Ergebnis“ steht: „Es wurden drei Workshops durchgeführt“. Unter anderem deshalb diskutieren wir zu selten über deren Qualität.
Tatsächlich aber sollten Workshops nie etwas anderes sein, als eines von vielen möglichen Werkzeugen, die unter ganz bestimmten Umständen zum Gelingen eines Projekts beitragen können. Und das auch nur, wenn sie durchdacht und ergebnisorientiert gestaltet werden. Während so gut wie alle öffentlichen Digitalisierungsprojekte irgendeine Form von „Innovation“ zum Gegenstand haben, greifen viele von ihnen in der internen Zusammenarbeit auf Formate zurück, die schon vor dreißig Jahren nicht besonders gut funktioniert haben. Ich persönlich halte es aber für nahezu ausgeschlossen, dass aus trägen, uninspirierten Arbeitsprozessen ein spannendes Ergebnis entstehen kann. Deshalb sollte Innovation immer bei den eigenen Formen der Zusammenarbeit beginnen
Es geht auch anders
Wir haben uns im CityLAB vor einiger Zeit kritisch mit unserer eigenen Workshop-Praxis auseinandergesetzt. Das Resultat war zum einen, dass wir inzwischen deutlich weniger klassische Workshops machen und stattdessen unser Portfolio an Formaten erweitert haben: Qualitative Interviews, Shadowing, Tagebuchstudien, Online-Umfragen, kollaborative Textarbeit oder auch nur eine gute strukturierte Mail- oder Slack-Kommunikation können in vielen Situationen bessere Ergebnisse erzielen und strapazieren die Zeit der Beteiligten weitaus weniger. Wir alle kennen den Satz: „Dieses Meeting hätte eine E-Mail sein können.“
Zum anderen machen wir uns bei den Workshops, deren Durchführung wir trotz allem für sinnvoll halten, zunächst einmal unserer Verantwortung bewusst: Wer zehn Personen zu einem vierstündigen Termin einlädt, bindet 40 Arbeitsstunden. Rechtfertigen die zu erwartenden Ergebnisse diesen Zeitaufwand? Und was können wir tun, um diese Zeit für alle Beteiligten so effektiv und kurzweilig wie möglich zu gestalten? Viele kreative Methoden und Vorlagen für einzelne Workshop-Module haben wir übrigens in unserem frei verfügbaren Handbuch „Öffentliches Gestalten“ zusammengestellt. Aber auch in den Weiten des Internets findet sich viel Inspiration (etwa hier, hier oder hier). Gemeinsame Zeit ist viel zu kostbar, um sie in Hamsterrädern zu verbringen.