Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 19. April 2022 veröffentlicht.
Guten Morgen aus Berlin! Ich komme gerade frisch erholt aus dem Sommerurlaub und habe es sogar geschafft, zwei Wochen lang erstaunlich wenig an die Arbeit zu denken. Eine Ausnahme war ein viel geteilter Twitter-Thread von Peter Broytman rund um das Thema Schriftliche Anfragen in der Berliner Verwaltung, der mir in der Hängematte in meinem Feed gespült wurde. Peter war 2019 einer der ersten Verwaltungsmitarbeiter, der regelmäßig zu uns ins CityLAB kam, um an Innovationsprojekten zu arbeiten und ich habe seine klugen Beobachtungen aus dem Verwaltungsalltag zu schätzen gelernt.
Das Problem liegt in der Verwaltung, nicht bei den Fragestellenden
In seinem Thread schildert Peter sehr eindrücklich, wie die Berliner Verwaltung mit der Beantwortung der zahlreichen Schriftlichen Anfragen (in der letzten Legislatur waren es fast 19.000) aus dem Abgeordnetenhaus zu kämpfen hat. Abgeordnete haben ja das Recht, die Verwaltung alles Mögliche zu fragen und innerhalb von drei Wochen Frist eine Antwort zu erhalten: Wie viele freie Schulplätze es in den Bezirken gibt, wie sich die Kriminalitätsrate entwickelt hat, wie der Arbeitsstand bei einem bestimmten Bauprojekt ist und vieles mehr.
Das Fragerecht der Abgeordneten ist ein gutes und wichtiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle und es fördert regelmäßig sehr spannende Informationen zu Tage. Kaum jemand sieht aber, wie aufwändig es für eine immer noch völlig unzureichend digitalisierte Verwaltung ist, diese Informationen innerhalb der eigenen Organisation zu beschaffen. Da müssen die zuständigen Dienststellen und dort die passenden Ansprechpersonen identifiziert werden, es wird hektisch telefoniert, Akten werden durchwühlt, Daten recherchiert und aufbereitet. Und weil die Bearbeitung dieser Anfragen grundsätzlich höchste Priorität hat, bleibt die eigentliche Arbeit so lange liegen.
Wie unterm Brennglas zeigt sich an dieser Praxis, dass es oft die Verwaltung selbst ist, die am meisten unter ihrer mangelhaften Digitalisierung – und entsprechend unter dem kaum vorhandenen Wissens- und Datenmanagement – zu leiden hat. Denn im Grunde ist ja jede Behörde immer auch eine Datenverarbeitungsmaschine. Nur dass sie eben an vielen Stellen leider noch analog, und deshalb mit entsprechend langen Latenzen, funktioniert.
Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an: Vor einiger Zeit gab es eine für uns sehr interessante Anfrage zum Einsatz von Open Source Software in der Berliner Verwaltung. Ein Abgeordneter bat darin unter anderem um Links zu den Quellcodes aller Open Source-Fachverfahren, die aktuell im Land betrieben werden. Der Antwort lässt sich entnehmen, dass es im Land Berlin zwar eine „IT Bestands- und Planungsübersicht“ gibt, aber bislang keinen Ort, an dem offene Quellcodes zentral einsehbar sind. Entsprechend müssten alle weiteren Details dann bei den jeweils zuständigen Ansprechpersonen der insgesamt 67 genannten Verfahren persönlich angefragt werden. Erfolgsaussichten fraglich.
Nun haben wir im CityLAB sicherlich auch unsere eigenen Herausforderungen mit dem Wissensmanagement, aber in dem genannten Punkt wären wir schon ein gutes Stück weiter. Weil wir bei der Technologiestiftung all unseren Source Code über ein zentrales Github bereitstellen, kann ich mit zwei Klicks in Erfahrung bringen, wie viele Repositorien wir aktuell verwalten (stolze 221), wie viele Personen daran mitentwickelt haben (26), oder wie lange die letzte Aktualisierung her ist (eine Stunde).
Und Sie können das – Stichwort Transparenz – übrigens auch. Weil Github eine Entwickler-Schnittstelle hat, könne ich mit ein paar automatisierten Abfragen sogar noch sehr viel mehr Daten zu jedem einzelnen Projekt bekommen, diese Daten dann in eine Dashboard-Software werfen und eine schicke grafische Auswertung erstellen. Alles in ein paar Minuten und ohne einmal zum Telefonhörer greifen zu müssen.
Wir brauchen die Möglichkeit automatisierter Abfragen
Visionen sind wichtig, also schließen wir einmal die Augen und träumen von einer besseren Verwaltungswelt, in der ein fortschrittliches Prozess- und Datenmanagement dafür sorgen würde, dass die Datenbestände der Verwaltung in strukturierten, offenen Formaten miteinander verknüpft wären und über eine standardisierte Schnittstelle abgefragt werden könnten (wer das für utopisch hält, dem empfehle ich eine Reise durch die inspirierende Welt von Wikidata, wo das für Teile des Weltwissens bereits Realität ist). Eine typische Anfrage wie: „In wie vielen Berliner Klassenzimmern gibt es einen vorhandenen WLAN-Anschluss?“ wäre dann in wenigen Sekunden statt wie bisher in drei Wochen zu beantworten.
Von dort wäre es nur noch ein kleiner Schritt, die Möglichkeit zur automatisierten Abfrage von Informationen einfach den Abgeordneten selbst, oder am besten gleich allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern einzuräumen (natürlich unter Berücksichtigung üblicher Sicherheits- und Datenschutzinteressen). Denn anders als die Schriftlichen Abfragen von heute würde das keine Mehrarbeit mehr verursachen. Auch nicht nach 17:00 Uhr oder am Wochenende.
Die digitale Verwaltung darf keine Utopie bleiben
Es gibt viele gute Gründe für offene Daten und transparentes Verwaltungshandeln, die in den letzten Jahren in zahlreichen Studien ausbuchstabiert wurden: Offenheit stärkt die Demokratie, ist gut für die Wirtschaft, fördert Innovationen. Das mag alles stimmen, aber vielleicht ist es ein anderes Argument, das jene Behörden, die sich bislang noch hartnäckig gegen mehr Offenheit wehren, am ehesten überzeugen könnte: Eine konsequent umgesetzte Open-Data-Praxis könnte der Verwaltung selbst eine Menge Arbeit ersparen. Vielleicht fangen wir einfach mal damit an?
PS: Nachdem ich in der letzten Kolumne Werbung für unser großes CityLAB Sommerfest gemacht habe, schulde ich Ihnen noch ein kurzes Follow-Up: Es war ein zauberhafter Tag und für uns ein echtes Highlight unserer bisherigen Arbeit. Großer Dank an alle Mitwirkenden! Die Aufzeichnungen der Talks und Panels finden sich hier, eine Fotogalerie hier.