Kopenhagen ist eine historische Hafen- und Handelsstadt. Bekannt für Erfinder:innen und seit Jahren ein schönes Beispiel dafür, dass Städte ambitionierte Klimaziele und eine lebenswerte Stadt in Einklang bringen können. Allein im vergangenen Jahrzehnt ist Kopenhagen um ein Fünftel gewachsen und konnte dennoch schädliche CO2-Ausstöße fast halbieren1. Dazu beigetragen hat ein Maßnahmenmix aus erneuerbarer Energie, Kreislaufwirtschaft, 385 Kilometer Fahrradwege durch die Stadt und einiges mehr. Aber wie gestaltet man dort die Digitalisierung? Und wie macht sich Kopenhagen fit für die Zukunft?
Zum Abschluss eines vollen und erlebnisreichen Jahres im CityLAB Berlin hatten wir die Gelegenheit, auf Einladung einiger zentraler Akteur:innen, Dänemarks Hauptstadt kennenzulernen. Unsere kurze Dezember-Reise nach Kopenhagen sind wir voller Erwartung angetreten – und wurden nicht enttäuscht! In spannenden Treffen haben wir uns mit sehr unterschiedlichen Organisationen aus der Verwaltung, der Zivilgesellschaft und Wirtschaft ausgetauscht, die an Themen rund um Digitalisierung und nachhaltige Stadtentwicklung in Kopenhagen arbeiten.
Mit einigen Fragen im Gepäck wollten wir herausfinden, in welchen Themen auch für Berlin Lernpotenzial hinsichtlich der Smart City-Entwicklungen steckt und ob wir Inspiration für unsere Arbeit im CityLAB gewinnen können. Unsere Reisegruppe, bestehend aus Mitarbeiter:innen verschiedener Disziplinen, von Transformationsmanager:in bis Service Designer:in, haben uns ganz unterschiedliche Blickwinkel ermöglicht. Im Folgenden wollen wir ein paar Eindrücke mit euch teilen, was wir durch den Austausch in Kopenhagen gelernt haben.
Wie Schnittstellen und vertrauensvolle Kollaboration entstehen
Der Beginn unserer Reise führte uns zum Copenhagen Solutions Lab, das als Schnittstelle zwischen kommunalem Bedarf und den technischen Lösungen verschiedener Anbieter agiert. Im Umfeld des Kopenhagener Labors gibt es ein großes Netzwerk an Unternehmen und kurze Wege zu verwaltungsinternen Ansprechpersonen. Das innerhalb der Kopenhagener Stadtverwaltung angesiedelte Lab ist ein agiler Matchmaker zwischen Problemstellungen und Lösungsanbietern und scheint vertrauensvoll mit den städtischen Referaten zusammen zu arbeiten. Es war sehr interessant, mehr über nationale und internationale Netzwerke, wie bspw. das Nordic Smart City Network zu erfahren, in denen sich das Innovationslabor Inspiration für Lösungen sucht.
“Ein guter Austausch zwischen zwei Innovationslaboren! Es war bemerkenswert, wie offen die Erfahrungen und Einschätzungen der Arbeit an der Schnittstelle zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Stadtgesellschaft im Copenhagen Solutions Lab geteilt wurden. Eine Herausforderung sind fehlende Regeln und Abläufe bei der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen. Immer mehr Städte arbeiten mit verwaltungsnahen oder -internen Laboren, um Digitalvorhaben ressortübergreifend durchzuführen. Bei unserem Besuch kamen wir zu dem Schluss, dass der Austausch von Ideen sowie technischen und sozialen Lösungen zwischen Städten künftig noch wichtiger werden wird.”
Yannick Müller, Strategic Partnerships CityLAB Berlin
Warum es einen neuen Umgang mit systemischen Problemen braucht
Themen wie Aufenthalts- oder Luftqualität lassen sich nicht in einem einzelnen Projekt bearbeiten und abhaken. Dieser Komplexität muss auf verschiedenen Ebenen begegnet werden. Das menschliche Wohlbefinden ins Zentrum von Stadtplanung und Gestaltung zu stellen, ist eine große Herausforderung für die Städte der Zukunft. Die Gehl Architects nutzen ihr strategisches Wissen, Daten und Design, um maßgeschneiderte Lösungen für Städte und Kommunen zu entwickeln. Es ist wichtig, dass alle einzelnen Vorhaben dafür in übergeordnete Strategien eingebettet und messbar sind. Mit Erfahrung aus über 350 Kommunen und Städten gibt es dafür heute gute Vergleichswerte und Benchmarks.
“Gehl People stehen international für menschzentrierte Städte. Es war spannend, mit dem Team ins Gespräch zu gehen und zu erfahren, wie sie es bei ihrer Arbeit schaffen, herausragende Beispiele für lebenswerte, grüne und menschenfreundliche Orte zu gestalten. Besonders spannend ist dabei, wie sie quantitative Daten, digitale Mapping-Tools und qualitative Analysen verbinden, um Stadtplätze, Straßen und Wohngebiete zu entwickeln, in denen die Menschen sich gerne aufhalten und einer Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten nachgehen. Dabei arbeiten sie oft prototypisch, bzw. nutzen Tactical Urbanism und Ansätze aus dem Placemaking, um Schritt für Schritt zu lernen, was an den jeweiligen Orten tatsächlich für die Menschen funktioniert.”
Anne Kruse, Transformationsmanagerin CityLAB Berlin
Wo und wie Menschen gemeinsam Stadt machen
Im Stadtviertel Jernbanebyen in Kopenhagen entsteht ein neues Areal. Die Initiative Spor10 engagiert sich dafür, dass in der neuen “Railway City” nicht nur Infrastruktur, sondern auch Gemeinschaft wachsen kann, indem sie mit einer großen Zahl an Sport- und Kreativangeboten junge und alte Menschen aus den umliegenden Vierteln zusammenbringt. An der Stelle, wo künftig Wohn-, Arbeits- und Einkaufsmöglichkeiten entstehen, soll schon heute das Gemeinschaftsgefühl gestärkt und in Informationsveranstaltungen Beteiligung und Austausch zum geplanten Bauvorhaben ermöglicht werden. Community Manager Daniel Mlka erklärte uns, wie die kreative und flexible Raumnutzung der ehemaligen Logistikhallen und die Ausgestaltung der wöchentlichen Community-Formate ablaufen. Hier steckt Liebe im Detail, deutlich sichtbar etwa an der mobilen Sauna, die ihren Weg auf das Gelände gefunden hat.
“Nicht für alle ist die Anonymität großer Städte das Richtige. Mich hat das Community-Konzept von Spor10 mit einem so breiten Angebotsspektrum begeistert. Diese kreative Art der Zwischennutzung ermöglicht nicht nur die Einbindung von Sportvereinen und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen, sondern eröffnet auch Raum für Themen wie Mental Health oder Ernährung. Es wurde erklärt, dass die aktuellen Nutzergruppen in einem umfangreichen Prozess an den Planungsschritten beteiligt und auch in das künftige Konzept mit eingebunden werden sollen. Hier steht der Mensch wirklich im Zentrum der Quartiersentwicklung!”
Emma Becker, Praktikantin CityLAB Berlin
Wie man guten Ideen den benötigten Raum gibt
Was 2014 als Danish Outdoor Lighting Lab (DOLL) begann, wird heute als DOLL Living Lab fortgeführt: Neben ursprünglichen Prototypen für Straßenbeleuchtung geht es heute auch um intelligente Verkehrssysteme, Technologien für Umweltmonitoring und Datenmanagement. In Kooperation mit Unternehmen und Universitäten werden Smart City-Lösungen getestet und weiterentwickelt. Gelungen ist das bisher in rund 60 Projekten, bei denen Industriepartner:innen eine passende Lösung für dänische Städte entwickeln konnten. Im Innovationsökosystem “We build Denmark” treffen Wirtschaft, Wissenschaft und stetiges Lernen aufeinander. Das DOLL Living Lab versteht sich als internationales Testfeld. Im Rahmen europäischer Projekte wie Digital Europe Program, Net Zero Cities oder CitComAI werden auch Themen wie digitaler Zwilling oder Künstliche Intelligenz aufgegriffen. Darüberhinaus richte man sich nach den Standards und Empfehlungen des Fiware Open Source Framework.
“Beeindruckend, wie ein recht kleines Team dank eines riesigen Netzwerkes als Plattform fungieren und somit zahlreiche städtische Projekte begleiten und vorantreiben kann. Im Austausch mit Jacob vom DOLL Living Lab wird deutlich, dass auch in Kopenhagen Themen wie Datenstandards, Energieverbrauch und Klimaaspekte bei Lösungsansätzen einer Smart City klar im Fokus stehen. Wichtige Zusammenhänge wie etwa der Effekt von Beleuchtungssystem auf die lokale Biodiversität werden messbar gemacht und spannend adressiert. Hierbei wurde erneut deutlich, wie wichtig gute Datenstandards sind, um Daten sammeln, teilen und schützen zu können.”
Henriette Närger, Product Ownerin Gieß Den Kiez, CityLAB Berlin
Warum ein Ökosystem besser unter einem Dach sitzt
Der Bloxhub wirkt wie ein großer Maschinenraum für effektive Zusammenarbeit rund um zukunftsfähige Städte. Neben dem Danish Design Center oder dem Danish Architecture Center gibt es einen großen Coworking Space, in dem private, öffentliche und lokale Akteur:innen arbeiten. Zum Netzwerk gehören rund 420 Mitglieder, die mit einem 35-köpfigen Team im Glaskubus zentral in Kopenhagen arbeiten. Eine Hälfte des Kernteams baut Communities auf und vernetzt, die andere Hälfte aktiviert und teilt Wissen aus dem Netzwerk. Die Herangehensweise sei lösungsorientiert und nicht technologiefokussiert, schildert uns die Leiterin des Community Managements Martine Kildeby. Städte und Unternehmen aus aller Welt können mit urbanen Problemen auf den Bloxhub zukommen; erhalten Hilfe beim Formulieren der richtigen Fragen, tiefere, differenzierte Perspektiven auf das Thema, sowie konkrete Lösungsvorschläge von Expert:innen. Interessant ist, dass trotz kultureller Unterschiede oder etwa verschiedener Deutungen des Smart City-Begriffs, globale Benchmarks und Erfahrungswissen greifen und helfen können.
“Smarte, nachhaltige und lebenswerte Städte “the Nordic Way” zu entwerfen, bedeutet im Bloxhub, jedes Produkt konsequent mit einem Designprozess zu kombinieren, in breiten Netzwerken zu kooperieren und voneinander zu lernen. Je lokaler die Partner verankert sind, desto besser. In modernen, äußerst ansprechend gestalteten Räumlichkeiten gibt es dafür Platz für Zusammenarbeit. Für jede Ebene eines Problems sind Formate und Ansprechpersonen vor Ort. Egal, ob es um das Kennenlernen bei themenspezifischen Netzwerktreffen, Designprozesse oder die Entwicklung und Implementierung einer konkreten Lösung geht – es befinden sich passende Teams von EU-Ebene bis lokaler Initiative vor Ort. Dieses Konzept scheint Wirkung zu zeigen. Man möchte gleich loslegen!”
Anja Lüttmann, Smart City-Designerin CityLAB Berlin
Fazit
Kopenhagen ist in einigen Punkten Musterschülerin, was Stadtentwicklung und Digitalisierung angeht und war ohne Zweifel sehr inspirierend für unser Team. Während unseren Gesprächen kamen uns zahlreiche gute Beispiele aus unserer Community und unseren eigenen Projekten in den Sinn, bei denen sich Experimentierfreude und gute Zusammenarbeit auszahlt. Hier gibt es einige Anknüpfungspunkte.
Der letzte Klimagipfel zeige laut Helle Søholt, Gehl Architects, wie dringend die Transformation von Städten und Räumen auch und mit Hilfe digitaler Mittel gelingen müsse, um zukunftsfähige Städte für Menschen zu gestalten. Die Möglichkeit zur Teilhabe und Klimaneutralität seien komplexe, aber eben zentrale Baustellen einer neuen urbanen Kultur. Zielkonflikte ließen sich durch qualitativ hochwertige Daten und ernst gemeinte Beteiligung bewältigen. Und genau dafür brauche es strategisches, nutzer:innen- und planetzentriertes Design.
Insgesamt sorgte die Reise für einen frischen Blick auf die Themen, mit denen wir uns im CityLAB beschäftigen. Deutlich wurde für uns in der Reflexion, dass ein funktionierender Austausch innerhalb städtischer und grenzübergreifender Netzwerke essentiell ist. Zurück im CityLAB krempeln wir nun die Ärmel hoch und freuen uns auf die Projekte, die wir 2024 gemeinsam mit Euch angehen wollen. Stay tuned.
Mange tak, København!
– Dankeschön, Kopenhagen!
Quelle:
- Carbon emissions, Copenhagen, 2005-2025: https://www.researchgate.net/figure/Carbon-emissions-Copenhagen-2005-2025_fig2_360260464 ↩︎