Als öffentliches Innovationslabor haben wir im CityLAB den Anspruch, uns kontinuierlich mit aktuellen Trends und Entwicklungen öffentlicher Digitalisierung auseinanderzusetzen, um nicht nur mit dem Wandel Schritt zu halten, sondern ihn aktiv mitzugestalten. Neben unseren eigentlichen Projekten führen wir deshalb regelmäßig explorative Deep Dives durch, bei denen wir tief in einzelne Themenfelder eintauchen. Diese Explorationen dienen nicht nur der Erweiterung unseres Wissens, sondern auch der Stärkung einer transdisziplinären Zusammenarbeit: Für jedes Explorationsphase stellen wir neue, cross-funktionale Teams zusammen, die sich für einen begrenzten Zeitraum einem Thema widmen, um bestehende Herausforderungen zu verstehen und Lösungsansätze zu entwickeln. Die Ergebnisse und Erkenntnisse einiger dieser Lernreisen möchten wir in diesem Sammelinterview mit Euch teilen.
Thema 1: Routenplaner für die Dokumentensafari
Thema 2: Ausschreibung eines IT-Projekts
Thema 3: IT-Fachverfahren mit Low Code gestalten
Thema 1: Routenplaner für die Dokumentensafari
Für die Einführung eines IT-Verfahrens in der Berliner Verwaltung müssen zahlreiche Dokumente ausgefüllt werden und es ist für viele Verwaltungsmitarbeitende nicht leicht, den Überblick zu behalten. Unser erstes Schwerpunktteam versuchte herauszufinden, was das eigentlich für Dokumente sind und welche Möglichkeiten es geben könnte, diesen Prozess zu vereinfachen. Markus Sperl, Verantwortlich für die Projektentwicklung im CityLAB, erzählt, was sein Team gelernt hat.
Was war die Hauptproblemstellung Eures Schwerpunktthemas?
Markus: Die Entwicklung von Webseiten, Einführung von Tools oder allgemein neuen IKT-Anwendungen in Verwaltungskontexten folgt streng reglementierten Prozessen. Ein solcher Prozess geht oft mit der frühzeitigen Einbeziehung unterschiedlicher behördlicher Stellen einher sowie der Erstellung unterschiedlicher Konzepte für etwa Datenschutz, die Auskunft über die IKT selbst sowie die Anforderungen und nötigen Vorbereitungen einer Einführung geben. Seit der Gründung hat das CityLAB nicht nur vielfältiges Wissen über Standards und Richtlinien der Einführung von digitalen Anwendungen selbst aufgebaut, sondern auch durch den Austausch mit der Verwaltung eine anhaltende Verwirrung bezüglich dieses Prozesses festgestellt. Welche Dokumente brauche ich bei welchem Typus einzuführender Anwendung? Wie ordne ich die Anwendung, die ich vor Augen habe, richtig ein? Was ist die richtige Reihenfolge der Einbeziehung unterschiedlicher Stellen in einer solchen Einführung oder Entwicklung? Welche Anforderungen muss die Anwendung erfüllen? Wann genau muss der Hauptpersonalrat mitentscheiden, und wann nicht? Antworten auf diese Fragen sind zwar vorhanden und auch auffindbar, der Prozess ist nur weiterhin so komplex, dass scheinbar nicht alle Mitarbeitenden neben ihren Regeltätigkeiten gleichermaßen gut darüber Bescheid wissen. Gleichzeitig sollte dies kein Faktor sein, Veränderungs- oder Innovationswillen zu bremsen. Wir wollten mit einer übersichtlichen Darstellung Hilfe und Orientierung für unsere Mitarbeitenden, sowie für digitalisierungsfernere Verwaltungsmitarbeitende leisten.
Wie seid Ihr bei der Lösungsfindung vorgegangen?
Markus: Wir haben versucht all das Wissen, das wir über die letzten Jahre mit unseren Projekten im Bereich Software- und Webentwicklung mit und für die Berliner Verwaltung gesammelt haben, an einem Ort übersichtlich darzustellen. Dieses noch lückenhafte Bild wurde dann mittels mehrerer Interviews mit Expert:innen aus der Verwaltung abgeglichen. Von Gespräch zu Gespräch ergab sich ein immer vollständigeres, aber auch dadurch nicht weniger komplexes Bild.
Ein möglicher Weg der Darstellung, den wir ins Auge gefasst hatten, war eine Art Flussdiagramm, welches schematisch und mit unterschiedlichen Abzweigungen den Einführungsprozess neuer Software/IKT-Anwendungen skizziert – vom festgestellten Problem bis zum Echtbetrieb, mit Anleitungen zur Erstellung von erforderlichen Dokumenten. Hierfür designten wir einen simplen Prototypen, der dann auch als Click-Dummy umgesetzt wurde. Da sich der Prozess am Ende dieser einfachen Darstellung entzog, entschieden wir uns doch für eine Ergebnisdarstellung in Textform.
Was war das Ergebnis Eurer Zusammenarbeit?
Markus: In jedem Fall haben wir gesehen, was für unterschiedliche Qualitäten und Sichtweisen in den interdisziplinären Teams zusammenkommen und wie bereichernd das ist! Unsere Ergebnisse stehen nun dem gesamten CityLAB-Team in Form eines checklistenähnlichen Berichts zur Verfügung. Während der ursprüngliche Impuls unserer Exploration zwar war, mehr über die einzureichenden Konzepte und deren Erstellung zu lernen, haben wir als Team sehr viel über den gesamten Prozess der Einführung von IKT in die Verwaltung gelernt – insbesondere über die Rollen der unterschiedlichen, einzubeziehenden Stellen wie dem Hauptpersonalrat (HPR). Gleichzeitig haben wir nun ein deutlich besseres Einschätzungsvermögen, welche Kategorien es an IKT-Anwendungen gibt, und in welche Kategorie unsere Prototypen wiederum fallen. Auf diesem Wissen lässt sich aufbauen, um auch mit den steuernden Instanzen über Anpassung oder Modifikation dieser Vorgaben sprechen zu können, bspw. mit Berlin Online über die Möglichkeiten und Grenzen von Imperia.
Thema 2: Ausschreibung eines IT-Projekts
Die Ausschreibung eines IT-Projekts ist oft mit einigen Hürden verbunden – von dem Verfassen einer korrekten Leistungsbeschreibung oder dem Setzen von realistischen Anforderungen an eine Dienstleistung, kann bei dem äußerst komplexen Prozess vieles zum Hindernis werden. Wir haben versucht, den Prozess der öffentlichen Vergabe genauer zu verstehen, um herauszufinden, wie man ihn für Verwaltungsbeschäftigte vereinfachen könnte. Jenny Huang, die persönliche Referentin von unserem Leiter, berichtet aus ihrem Team.
Was war die Hauptproblemstellung Eurer Challenge?
Jenny: Das CityLAB wurde in der Vergangenheit immer mal wieder von verschiedenen Stakeholdergruppen als Vermittler zum Thema Innovationen in der IT-Vergabe angefragt. Da es keine Zentrale Vergabestelle in Berlin gibt und die Vergabeprozesse je nach Bezirk teils sehr unterschiedlich durchgeführt werden, lag die erste große Herausforderung darin, zu verstehen, welche unterschiedlichen Anforderungen, Bedürfnisse und Hürden einzelne Stakeholdergruppen haben. Ziel unserer Gruppe war es, mithilfe von Best Practice-Beispielen schließlich einen standardisierten Vergabeprozess abzubilden, der als Ausgangspunkt dient, um mögliche Handlungsfelder und Lösungsideen zu identifizieren.
Wie seid Ihr bei der Lösungsfindung vorgegangen?
Jenny: Angesichts der unterschiedlichen Prozesse beim Thema Vergabe in Berlin war es uns ein wichtiges Anliegen, im Rahmen einer Explorationsphase zunächst die unterschiedlichen Akteure und Bedarfe zu verstehen und festzuhalten. Ausgestattet mit den Methoden aus unserem Handbuch “Öffentliches Gestalten” haben wir das Thema innovative Vergabe daher entlang der ersten drei Phasen eines Innovationsprozesses näher beleuchtet:
- In der Vorbereitungsphase wurden grundlegende Fragen zum Thema Vergabe geklärt, die uns halfen, den IST-Zustand zu betrachten und relevante Stakeholder zu identifizieren.
- In der anschließenden Erkundungsphase haben wir unsere Annahmen mittels umfassender schriftlicher Recherchen und Gesprächen in Form von Fokusgruppen und Gruppenworkshops mit den von uns identifizierten Stakeholdern hinterfragt.
- Zusammen mit den Workshop-Teilnehmenden haben wir unser gesammeltes Wissen schließlich in konkrete Erkenntnisse abgeleitet und darauf aufbauend Potenzialfelder für mögliche Lösungsansätze identifiziert.
Was war das Ergebnis Eurer Zusammenarbeit?
Jenny: Das Aufbrechen von internen Strukturen und Arbeiten in interdisziplinären Teams macht nicht nur großen Spaß, sondern ist auch unheimlich bereichernd für die Zusammenarbeit und schafft den nötigen Perspektivwechsel. Innerhalb nur weniger Wochen konnten wir so gemeinsam mit Verwaltungsmitarbeitenden bereits vielversprechende Lösungsansätze identifizieren, die mithilfe eines digitalen Click Dummys veranschaulicht werden konnten. Der Click Dummy kann zukünftig hoffentlich als Grundlage und Denkanstoß dienen, um die digitale Vergabeinfrastruktur in Verwaltungen weiterzuentwickeln.
Thema 3: IT-Fachverfahren mit Low Code gestalten
Wie wird eigentlich ein Verwaltungsverfahren konkret digitalisiert? Ziel dieses Schwerpunktthemas war es, einen sogenannten „Geschäftsprozess“ gemäß dem E-Government-Gesetz zu analysieren und digitalisieren. Genutzt wurde dafür der Low-Code-Baukasten MODUL-F aus Hamburg, da wir mit dem dortigen Team schon länger in einem produktiven Austausch standen . Creative Technologist Jonas Jaszkowic erzählt, wie sein Team Prozesse erforscht und an einem Prototypen herumexperimentiert hat.
Was war die Hauptproblemstellung Eurer Herausforderung?
Jonas: Im Kontext der Digitalisierung von Geschäftsprozessen und Fachverfahren neigen Organisationen oft dazu, individuelle Ausschreibungen zu erstellen, um diese umzusetzen. Dieser Ansatz birgt jedoch das Risiko, dass häufig ”das Rad neu erfunden” wird, da verschiedene Fachverfahren ähnliche Anforderungen aufweisen, wie beispielsweise Nutzermanagement, Dokumentenablage und Formularversand. Darüber hinaus führt dies zu einer Verlangsamung des gesamten Prozesses. Eine vielversprechende Alternative bietet sich durch die Nutzung von Low-Code-Plattformen an. Diese Plattformen erleichtern die Implementierung und bieten standardisierte Lösungen an. Der Vorteil besteht darin, dass IT-affine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Lösungen auch eigenständig, ohne umfangreiche Programmierkenntnisse, umsetzen können.
Wie seid Ihr bei der Lösungsfindung vorgegangen?
Jonas: Zunächst wurden in der Verwaltung bereits genutzte Low-Code-Plattformen recherchiert. Dabei wurde intensiv auf bestehende Kontakte innerhalb der Verwaltung zurückgegriffen und Experteninterviews durchgeführt. Eigenständig wurde eine Analyse des Funktionsumfangs und der Benutzerfreundlichkeit (UX) für die am weitesten verbreitete Produkte „Intrexx“ und „Modul-F“ erstellt. In einem weiteren Schritt wurden bestehende Fachverfahren bzw. Geschäftsprozesse identifiziert, die realistisch mit einer der beiden Plattformen umgesetzt werden können. Konkret wurde hierbei das „Kunstwerkverleihversicherungs-Fachverfahren“ betrachtet, dessen gesamter Sollprozess bereits in der Software Adonis, die zur Modellierung von Geschäftsprozessen genutzt wird, abgebildet war.
Was war das Ergebnis Eurer Zusammenarbeit?
Jonas: Unsere Ergebnisse wurden in einem Abschlussbericht zusammengefasst, der verfügbare Low-Code-Plattformen vergleicht und exemplarisch an einem Fachverfahren die Möglichkeiten und Grenzen dieser Plattformen aufzeigt. Geplant ist ein Treffen mit den zuständigen Vertretern aus der Berliner Verwaltung, um in einem gemeinsamen Austausch das mit Modul-F abgebildete Fachverfahren zu präsentieren und gemeinsam weitere mögliche Schritte zur Umsetzung zu diskutieren.
Thema 4: Datenmanagement
Daten bilden das Herzstück der Verwaltungsdigitalisierung. Oftmals mangelt es in der Verwaltung jedoch an einem angemessenen Datenmanagement sowie an dem Überblick darüber, wo welche Daten vorhanden sind. Basierend auf den Vorarbeiten von der Open Data Informationsstelle (ODIS), versuchte dieses Team, Wege zu finden, wie Verwaltungen eine umfassendere Übersicht über ihre Datenbestände erlangen und eine effizientere Vernetzung dieser Daten erreichen können. Lisa Stubert, Teamleitung Open Data, gibt Einblicke, was das Team herausgefunden hat.
Was war die Hauptproblemstellung Eurer Challenge?
Lisa: Unter dem Begriff Datenmanagement verstehen wir Prozesse, Tools und Methoden, die eingesetzt werden, um Daten zu sammeln, zu speichern, zu verwalten, zu schützen und zu nutzen. Ein gutes Datenmanagement ist essenziell, um Daten zugänglich, verständlich und nutzbar zu machen, während gleichzeitig die Datenqualität und -sicherheit gewährleistet werden. Dies spielt wiederum eine entscheidende Rolle für datenbasiertes Monitoring und Entscheidungsfindung in der Verwaltung und Politik, für Open Data oder auch für die Präsentation und Visualisierung von aktuellen Informationen zum Beispiel im Berichtswesen oder mittels Dashboards. Das Datenmanagement bildet somit das Fundament für viele Digitalisierungs- und Verwaltungsinnovationsprojekte – und stellt genau in diesem Zusammenhang viele Behörden aktuell vor Herausforderungen.
Wir seid Ihr bei der Lösungsfindung vorgegangen?
Lisa: Das CityLAB Berlin hat sich explorativ damit auseinandergesetzt, welche Schmerzpunkte im Bereich Datenmanagement in Berliner Verwaltungen besonders relevant sind und inwiefern neue technische Ansätze zu einer Lösung beitragen könnten. Dabei wurde das Konzept eines kollaborativ erstellbaren „Datenkatalogs“ in den Fokus gestellt.
Durch die Entwicklung von Personas und Gespräche mit Verwaltungsmitarbeitern wurde erkannt, dass ein umfassender und nutzerfreundlicher Datenkatalog das Datenmanagement vereinfachen und einer Vielzahl von Nutzergruppen – von Open-Data Beauftragten bis zur Führungsebene – zugutekommen könnte. Der Datenkatalog soll eine digitale und zentrale Übersicht über Datenbestände bieten, durchsuchbar nach Schlagwörtern und Filteroptionen, ergänzt durch visuelle Auswertungen wie Dashboards für Datenqualität und -aktualität, sowie Vorschläge für Datenbearbeitung und -verknüpfungen. Zudem wurde die Notwendigkeit eines kollaborativen Ansatzes hervorgehoben, der über Behördengrenzen hinweg ein nachhaltiges Pflegen des Datenbestands durch ein Rollen- und Rechtesystem und die Validierung von Metadaten unterstützt.
Was war das Ergebnis Eurer Zusammenarbeit?
Lisa: Ein Teil des Ergebnisses war, dass die Ausweitung der Nutzung von Cloud-Speicherlösungen in Verwaltungen Potential für leichteres kollaboratives Arbeiten birgt, indem es das Teilen und Bearbeiten von Excel-Dokumenten erleichtert. Für komplexere Anforderungen wurde ein Prototyp entwickelt, der Excel als Benutzeroberfläche mit Daten in einer separaten Datenbank kombiniert, um fortgeschrittene Versionierung und ein ausgefeiltes Rechte- und Rollensystem zu ermöglichen. Erste Entwürfe für einen Datenkatalog, der übersichtliche Datendarstellung, Filterung, Durchsuchbarkeit und KI-gestützte Suchfunktionen bietet, basieren auf vorherigen Untersuchungen. Diese Ergebnisse, zusammengefasst in einem Abschlussbericht, zielen darauf ab, die laufenden Bemühungen im Datenmanagement und bei Datenkatalogen weiterzuentwickeln, insbesondere im Kontext der Berliner Open Data Strategie. Es wird nach Rückmeldungen zum Prototyp und Partner:innen in der Verwaltung gesucht, die an der Weiterentwicklung von Datenmanagement-Lösungen mitwirken möchten.
Die intensive Beschäftigung mit diesen vier zentralen Themen der Verwaltungsdigitalisierung und besonders der persönliche Austausch mit Verwaltungsmitarbeitenden haben dem gesamten CityLAB-Team nicht nur hilfreiche Einblicke in grundlegende Prozesse ermöglicht, sondern auch unsere eigene Arbeit in ein neues Licht gerückt. Durch die kollaborative Arbeit in interdisziplinären Teams konnten wir wertvolle Einsichten in die Komplexität und Vielfalt der digitalen Transformation in der Verwaltung gewinnen. Diese Erkenntnisse werden uns künftig als Leitfaden dienen und uns praktische Unterstützung bieten, wenn wir mit der Verwaltung zusammenarbeiten, und sie bergen Potenzial für die Optimierung von Standards und Prozessen. Die Arbeit an unseren Schwerpunktthemen hat uns erneut verdeutlicht, dass eine kooperative und kreative Herangehensweise entscheidend ist, um den Herausforderungen der digitalen Transformation erfolgreich zu begegnen.