Das Kiezlabor als Beteiligungs-Booster für die Stadt von morgen

Das große Interview

Von Anna Hantelmann, Nora Eilers – 25. November 2024

Gemeinsam Stadtraum gestalten, mit diesem Angebot tourte das Kiezlabor 2024 zum zweiten Mal durch die Berliner Kieze. Das Team blickt auf ein ereignisreiches Jahr zurück: Mit sieben Standorten, über 100 Veranstaltungen und unzähligen Begegnungen mit Bewohner:innen genau wie mit städtischen Initiativen. Inwieweit mobile Mitmach-Angebote Nachbarschaften empowern können, dazu berichteten auch dieses Jahr lokale und überregionale Medien – und das Team reiste zu Konferenzen in ganz Europa, um die innovativen Ansätze des Kiezlabor präsentieren. Im Interview erfahren wir mehr über Highlights und Herausforderungen des vergangenen Jahres. 

„Ohne euch sind wir nur ein Container“, mit diesem Aufruf ist das Kiezlabor 2023 gestartet. In diesem Jahr allein hat euer Team bei drei offiziellen Beteiligungsprozessen in Berliner Bezirken mitgewirkt und auch zum ersten Mal einen Standort mit berlinweitem Themenfokus zum Thema Gärtnern in der Stadt organisiert. Wie hat sich das Kiezlabor weiterentwickelt und welche Schwerpunktthemen und Bedürfnissen haben sich dabei für euch herausgebildet?  

Anne: „Wir haben das Projekt mit der Idee gestartet, mit den Themen des CityLAB in die Berliner Kieze zu kommen und dabei auch offen zu sein für relevante Themen vor Ort. Dabei hatten wir stets den Anspruch, prototypisch vorzugehen, das heißt aus jedem Standort weiter zu lernen und uns in der Planung weiterzuentwickeln. Mittlerweile sind wir an dem Punkt, dass Themen sehr eng mit Kooperationspartner:innen ausgesucht werden und wir im kommenden Jahr noch mehr im Vorfeld recherchieren und mit Menschen vor Ort auch im Vorfeld sprechen wollen, um noch besser zu verstehen, was lokal wirklich wichtige Themen sind. Typisch CityLAB nutzen wir dabei natürlich viele nutzer:innenzentrierte Methoden und greifen auf digitale Tools und Technologien zurück – da wo es wirklich sinnvoll ist und einen Mehrwert bietet.“ 

Anne: „Das Bild ist vielleicht nicht das Schönste aus diesem Jahr, aber die wilde Mischung an Aktivitäten und Menschen auf einem Bild symbolisiert für mich sehr die Stärke des Kiezlabors. Viele, sehr unterschiedliche Menschen sind hier zum Gespräch mit dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Hikel zusammengekommen. Manche bleiben nur kurz, andere nehmen sich einen Kaffee und diskutieren rege mit. Mit dem Kiezlabor wollen wir einen Ort schaffen, an dem Menschen zusammen ins Gespräch kommen und sich mit Inhalten beschäftigen und sich beteiligen, ohne, dass es eine große Hürde gibt.“  

Julian: „Das Kiezlabor entwickelt sich zwar von Standort zu Standort weiter und ist kiezspezifisch immer ein etwas anderes Kiezlabor, aber was doch schön zu sehen ist, ist das der inhaltliche Kern und die Zielsetzung sich nur vertieft hat und immer besser funktioniert.  Aus der Mission des CityLAB heraus, hat sich das Kiezlabor in den letzten zwei Jahren als lebendige Schnittstelle zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft etabliert. Hier kann die Zukunft der Stadt ganz konkret dargestellt, diskutiert und verhandelt werden. Immer mehr Menschen aus der Berliner Verwaltung kommen mittlerweile auf uns zu und schenken uns ihr Vertrauen. Formate wie das mobile Bürgeramt haben sich als Erfolgsgeschichte herausgearbeitet. Verwaltung und Berliner:innen wachsen im Kiezlabor enger zusammen. Davon profitieren am Schluss alle.“ 

Caro: „Mit unseren Aktivitäten im Bereich Public Engagement können wir noch näher an dem dran sein, was in den Kiezen aktuell passiert und wichtig ist. Netzwerkformate ermöglichen etwa den Austausch von lokalen Initiativen untereinander, die sich zum Teil zum ersten Mal so richtig im Kiezlabor treffen. Und sich dann gegenseitig empowern, was einfach wunderbar ist. Außerdem bieten wir Workshops und Mitmachangebote zu Themen wie Klima, Gesundheit, Mobilität, Gemeinschaftsgärten und Flächenverwaltung in urbanen Kontexten. Dabei sind wir auch lokalem Wissen auf der Spur und laden Expert:innen (aus dem Kiez) für einen Einblick in ihre Arbeit zu uns ein. So schaffen wir unterschiedliche Zugänge, um möglichst vielen Zielgruppen die Teilnahme an unseren Formaten zu ermöglichen. Der Output aus den Visionen und Ideen der Teilnehmer:innen ist mitunter beeindruckend und kann im Kiez weiterhelfen.“ 

Caro: „Karten, Karten und noch mehr Karten … Kiezlabor heißt auch, auf Tuchfühlung mit der eigenen Umgebung zu gehen. Ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder durch technische Unterstützung (mit Sensoren) – fast alles haben wir schon ausprobiert. Und natürlich unsere Feldforschung fleißig dokumentiert. Dabei entstehen Nachbarschaftskarten zu essbaren Pflanzen, alternativen Fahrradrouten, Hitzeschutz im Kiez oder Artenvielfalt. Durch das Einnehmen einer anderen Perspektive, dem Gehen, Fahren, Stehenbleiben, Notieren, Reflektieren über die Umwelt und sich selbst – kommt man ganz automatisch mal auf ganz andere Ideen. Und mit jeder weiteren Karte wächst das gute Gefühl, etwas zum lokalen Wissensschatz beigetragen zu haben.“

Was waren die bedeutendsten Meilensteine in der bisherigen Geschichte des Kiezlabor? Gibt es spezifische Projekte oder Erfolge, die sich besonders die Wirkung und das Wachstum des Kiezlabor ausgewirkt haben? 

Yannick: „Sieben Standorte und über 100 Veranstaltungen in diesem Jahr wären ohne unsere Partner:innen nicht denkbar gewesen. Zum ersten Mal wurde ein Kiezlabor-Pop-Up-Format getestet, bei dem nur Möbel mitgebracht und Workshops sowie Spaziergänge mit Anwohner:innen gestaltet wurden. Ein besonderes Highlight war die Veranstaltung „Freiluftkino: Paradiesgarten Shorts & Queer Gardening“, die Nachhaltigkeit und Diversität in einem offenen Gesprächsformat thematisierte und sehr gut besucht war. Erfolgreiche Projekte wie die Visualisierung von Stadtvisionen mithilfe von KI mit Urbanist.AI und die Entwicklung interaktiver Exponate wie der KI-basierte TreeBot machten komplexe Themen greifbar. Neben hochrangigen Gästen, wie dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und lokalen Stadträt:innen, haben sich vor allem die Partnerschaften mit Initiativen vor Ort bewiesen.“

Beim Kiezlabor in Kreuzberg geniesst ein grosses Publikum einen Film beim Freiluftkino.
Yannick: „Das Kiezlabor kann auch Sommerkino: Anwohnende und Gäste genießen Kurzfilme zu queerem Gärtnern und diskutieren gemeinsam über Diversität und Nachhaltigkeit im urbanen Raum. Die Veranstaltung zeigte, wie urbanes Gärtnern als Werkzeug der urbanen Transformation nicht nur Menschen zusammenbringen, sondern auch Kreativ- und Schutzraum darstellen kann.“

Das Tiny House als temporärer Begegnungsort und mobiles Kiezlabor hat ein besonderes Format. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Handhabung, den Abläufen und den logistischen Herausforderungen gemacht? Welche strukturellen oder technischen Upgrades gab es seit der ersten Aufstellung? Welche Vorteile seht ihr durch das Pop-Up-Format für die Berliner Kieze? 

Julian: „Manchmal muss es ganz schnell gehen: Nehmen wir beispielsweise den Bezirk, der spontan das gerade erarbeite Konzept für einen Verkehrsberuhigten Bereich im Kiez mit Anwohner:innen besprechen möchte. Mit unserem Kiezlabor brauchen wir bisher immer einen gewissen Vorlauf für unsere Standortplanungen, denn wir bringen nicht nur unseren ein paar Tonnen schweren Container mit, sondern auch ein zugeschnittenes, mehrwöchiges Programm. Das neue Pop-up Format erlaubt uns mit Hilfe eines Fahrrads auch mal für einen Tag oder zwei spontan im Stadtraum auf die Bedürfnisse von Verwaltung und Zivilgesellschaft einzugehen und ein Gespräch zu eröffnen. Das kann dann auch die Basis und inhaltliche Vorbereitung für einen Einsatz mit unserem Container werden.“  

Julian: „Hier kommen mit der SenMVKU, GruppeF und vielen Anwohner:innen in Kreuzberg am Kiezlabor Verwaltung und Berliner:innen zusammen und entscheiden gemeinsam in einem Beteiligungsprozess über die Zukunft der digitalen Platform ”Berlin gärtnert.” Arbeiten an den wichtigen Schnittstellen der Stadt, was könnte mehr Kiezlabor sein?“

Was habt ihr im direkten Austausch mit den Anwohner:innen und der Nachbarschaft über die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen gelernt? Was habt ihr über Berlin und die Eigenheiten der Berliner Kieze gelernt?  

Stefan: „Die Menschen wollen meist Teil der Prozesse sein, die im Kiez gerade passieren. Es wird immer wieder deutlich, dass sich die Leute im Kiez freuen, wenn sie das Gefühl haben im Kiezlabor an der Gestaltung ihres Kiezes teilhaben zu können. Das bedeutet jedoch nicht, dass es reicht dieses Gefühl nur zu vermitteln. Am besten funktioniert das Kiezlabor, wenn anhand eines tatsächlichen Gegenstandes diskutiert und gearbeitet wird, wie z.B. bei den Kiezblocks, die für reichlich Diskussion und Rückmeldung sorgten. Häufig freuen sich die Anwohner:innen aber auch über die Möglichkeit im öffentlichen Raum zusammen zu kommen und sich auszutauschen, wie es in Gropiusstadt immer wieder rückgemeldet wurde. Dabei ist es meist so, dass ein offenes Ohr schon wunder wirkt, oder die Möglichkeit einen Kaffee aufs Haus zu schlürfen. Das löst vielleicht nicht die Probleme der Besucher:innen doch öffnet eine erste Tür für weitere gemeinsame Arbeit.“  

Stefan: „Hier testen wir zum ersten Mal die Kiezlabor Pop-Up Variante. Dadurch konnten wir tolle Infos sammeln, mit welchen wir im neuen Jahr ein Bedürfnisorientiertes Programm für Schöneweide auf die Beine stellen können. Mit einem kleinen Kräuter Workshop, konnten wir bereits testen, was gut ankommt. Mit dem Meinungsautomaten und dem Sammelbord, auf dem die Menschen ihre Anliegen teilen konnten, können wir fürs neue Jahr Aufgaben und Ziele ableiten und haben einen besseren Einblick, was die Menschen im Kiez bewegt. Dabei waren wir auch Teil des Brückenfestes am Kaisersteg und konnten erste Gespräche mit aktiven Initiativen im Kiez führen.“ 

Caro: „Ob Klebezettel, Visionen mit KI visualisieren oder mit Materialien für die Stadt der Zukunft experimentieren. Den Anwohner:innen war es stets wichtig, ihre Ideen für die Zukunft des Kiezes nicht nur auszusprechen, sondern auch zu manifestieren. Schon ein Whiteboard und die Einladung, Gedanken zu Herausforderungen im Kiez festzuhalten, konnte genug sein. Beim Pop-up in Schöneweide diente es uns als zentrales Element. Mit Erfolg: 155 Besucher:innen haben in zwei Tagen ihre Meinung abgegeben – davon fast Zweidrittel mit konkreten Lösungsansätzen. Und auch unser Meinungsautomat (Bonbon schnappen, Bonbon essen und Papier in das jeweilige Fach) hat an dieser Stelle seinen Dienst getan. 39 Besucher:innen haben in zwei Tagen abgestimmt: Der Mehrheit gefallen das Freizeitangebot und die Umgebung; Gemeinschaft und Infrastruktur haben viel Luft nach oben. Außerdem wollten die Besucher:innen wissen, was mit ihren Meinungen und Ideen passiert und wie diese konkret weiterhelfen können. Bei Fahrradwege-Mapping in Gropiusstadt haben wir Gefahrenstellen identifiziert und entsprechende Ausschilderungsvorschläge an die verantwortlichen Stadt- und Regionalplaner weitergegeben.“ 

Welche Pläne und neuen Ziele habt ihr für das Kiezlabor im Jahr 2025? Inwiefern spielt der Open Call dabei eine Rolle? Welche Arten von Kooperationen und Projekten sollen besonders gefördert werden, um das Kiezlabor weiter als Anlaufstelle für stadtweite Innovationen zu etablieren? 

Anne: „Wir haben in diesem Jahr zum ersten Mal ein Kiezlabor Pop-Up für nur zwei Tage auf dem Platz am Kaisersteg in Schöneweide gemacht. Dabei haben wir gemerkt, dass auch ein kurzer und recht unkomplizierter Aufenthalt wirkungsvoll sein kann. Wir wollen im nächsten Jahr mehr solcher neuen Formate umsetzen und sind mit unserem neuen Pop-Up-Format auch deutlich mobiler, kleiner und flexibler als mit dem Container. Natürlich soll es trotzdem auch weiterhin längere Standorte mit dem Container geben. Wir wollen mithilfe der Einreichungen im Open Call dabei noch gezielter Orte und Kooperationspartner:innen auswählen, bei denen der Kiezlabor-Einsatz zu einem ganz bestimmten Thema stattfindet, bei dem Partizipation der Stadtgesellschaft erwünscht ist.“ 

Stefan: „Wir wollen uns noch tiefer in die Strukturen und Bedürfnisse der Kieze einarbeiten, um gezielt auf die Problemstellungen reagieren zu können. Dabei hilft der Open Call, Anreize von außen zu bekommen, mit Akeur:innen die sich möglicherweise besser im Kiez auskennen und so eine nachhaltige und produktive Zusammenarbeit ermöglichen. So können wir bspw. Auch Impulse von Verwaltungen entgegennehmen und verarbeiten, damit die Vermittlung zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung weiter gefördert wird.“

Julian: „Überall in Berlin schlummern tolle Projekte und Ideen, sei es in der engagierten Zivilgesellschaft oder der Berliner Verwaltung. Das haben wir dieses Jahr bei der CityLAB Sommerkonferenz gelernt. Hier kamen bei einem Open Call unzählige Einreichungen aus verschiedenen Verwaltungen und ein großartiges Programm zusammen. Das haben wir uns für die kommende Kiezlabor-Saison abgeschaut. Stadtweite Innovation in Berlin kann nur funktionieren, wenn tolle Projekte und Ideen in den Kiezen gezeigt, mit den Berliner*innen diskutiert und weiterentwickelt werden. Den Raum dafür, sowie die Erfahrung und Kompetenz in der Durchführung, bieten wir euch hiermit mit dem Kiezlabor an. Deshalb rufen wir dazu auf am Open Call auf unserer Website teilzunehmen, denn “Ohne euch sind wir nur ein Container!”