KI in Europa: Verantwortung, Inklusion und die Zukunft der Kreativität 

5 Fragen an Florian Dohmann

Von Nora Eilers – 8. April 2025

Vor genau einem Jahr war Florian Dohmann, Gründer und Kreativgeschäftsführer von Birds on Mars, zu Gast bei unserem Podcast Radio CityLAB und hat mit unserem Leiter Dr. Benjamin Seibel über die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz gesprochen. Wie hat sich der Diskurs über KI in diesem Jahr gewandelt – und wo stehen wir 2025?  

Florian Dohmann, Gründer und Kreativgeschäftsführer von Birds on Mars

Lieber Flo, vor einem Jahr habt ihr, Ben und du, viel über den Hype rund um KI gesprochen. Damals hast Du gesagt: „Das Gebot der Stunde ist erstmal Ruhe zu bewahren“, weil alles so unglaublich schnell ging. Seither hat sich das Tempo nicht verlangsamt – im Gegenteil. Wie hat sich der Diskurs verändert? Und wie nimmst Du die Stimmung heute wahr? 

Florian: Grundsätzlich hat sich nicht viel verändert – KI entwickelt sich weiterhin in rasantem Tempo, begleitet von viel Trubel. Das Wichtigste bleibt, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und den eigenen Weg im Umgang mit dieser Technologie zu finden. 

Der Reifegrad in Unternehmen und öffentlichen Institutionen ist gestiegen. Auch im öffentlichen Sektor ist generative KI mittlerweile Teil des Arbeitsalltags. Gleichzeitig gilt weiterhin: Man sollte sich bewusst mit KI auseinandersetzen, aber nicht blind jedem Trend hinterherrennen. Besonders in der freien Wirtschaft zeigt sich, dass nicht die KI selbst eine Bedrohung ist, sondern die Konkurrenz, die sie besser zu nutzen weiß. 

Deshalb mein Appell an diejenigen, die sich noch nicht aktiv mit KI beschäftigt haben: Nehmt euch die Zeit, probiert es aus und findet heraus, wie ihr KI sinnvoll für euch nutzen könnt. 

Der EU AI Act soll klare Regeln für den Einsatz von KI schaffen. Welche gesellschaftlichen Standards und Werte müssen aus deiner Sicht unbedingt in Algorithmen verankert werden? Und welche Debatten sind jetzt besonders wichtig, um eine verantwortungsvolle Entwicklung und Nutzung sicherzustellen? 

Florian: Ein verantwortungsvoller Umgang mit KI ist entscheidend – das betrifft nicht nur Datenschutz und ökologische Nachhaltigkeit, sondern u.a. auch die Einbindung der Menschen und ein europäisches Werteverständnis in die Technologieentwicklung. 

Europa hat hier eine große Chance, sich als Vorreiter zu positionieren. Doch anstatt uns über Regulierungen wie den AI Act oder früher die DSGVO zu beschweren, sollten wir sie als Wettbewerbsvorteil begreifen. Es ist fast ironisch, dass Unternehmen wie Apple heute Datenschutz und Sicherheit als großen USP vermarkten, während wir in Europa die Standards setzen, die dann woanders kommerziell ausgeschlachtet werden. 

Europa muss selbstbewusster auftreten und den Flickenteppich an Regelungen als Stärke nutzen. Die amerikanische Tech-Welt glorifiziert seit Jahrzehnten das Streben nach dem nächsten Unicorn – wir haben jetzt die Chance, ein Gegennarrativ zu etablieren: Eine Wirtschaft, die auf Verantwortung, Zusammenarbeit und soziale Werte setzt. 

Im Podcast sagtest du, dass KI großes Potenzial für Inklusion bietet, aber mehr Teilhabe im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle spielt. Hat sich das inzwischen geändert? 

Florian: Das Problem liegt oft weniger in der KI selbst, sondern in den bestehenden Systemen – fehlende Finanzierung und bürokratische Hürden machen es schwer, neue Technologien im Inklusionsbereich zu etablieren. 

Dennoch bin ich optimistisch. KI hat enormes Potenzial, Barrieren abzubauen – sei es durch Übersetzungsleistungen oder neue Zugänge zu Informationen. Ein Beispiel ist unser Projekt „Kaleidofon“ oder das sprechende Bücherregal der Stadtbibliotheken Pankow. KI kann dabei helfen, Menschen mit Beeinträchtigungen neue Teilhabechancen zu ermöglichen. Es gibt noch viel zu tun, aber die Richtung stimmt glaube ich. 

Im Podcast sprecht ihr außerdem über die Verbindung von KI und Kunst, etwa am Beispiel eines Projekts mit dem Künstler Roman Lipski. Wo kann der Mensch in der Kunst nicht ersetzt werden? 

Florian: Die Kreativbranche erlebt derzeit eine enorme Disruption, und das zeigt sich besonders in Bereichen wie Werbung oder Videoproduktion. Große Teams für aufwändige Drehs, bei denen früher ganze Crew-Mitglieder nach Südafrika geflogen sind, um dort für ein zehnsekündiges Social-Media-Video eine Dose zu filmen, sind zunehmend durch generative KI ersetzt. In den Creative Industries tut sich wahnsinnig viel, und das betrifft längst nicht nur die bildende Kunst. Schaut man sich beispielsweise die Werbung an, merkt man, dass die traditionellen Agenturmodelle gerade massiv im Wandel sind. 

Ich bin ehrlich gesagt auch nicht traurig darüber, dass man sich in dem obigen Beispiel diese Fliegerei um die Welt spart. In einem Bereich, der stark von Content Creation geprägt ist, ist es nur logisch, dass generative KI diese Prozesse übernimmt – sei es bei Texten, Bildern oder auch multimodalen Inhalten. Und natürlich bringt das viele Herausforderungen mit sich, die es zu lösen gilt – oft ist hier leider wieder eher das System das Problem, das dafür sorgen muss, dass Disruption nicht zu Lasten weniger passiert und Innovation + Sozialverträglichkeit endlich mal zusammen funktioniert im Sinne einer wirklich sozialen Marktwirtschaft. 

Interessanterweise zeigt eine aktuelle Studie, dass viele Nebenjobs von Künstler:innen – etwa Übersetzungen oder das Schreiben von Vorworten für Bücher – stärker von KI bedroht sind als ihre eigentliche künstlerische Tätigkeit. Das verändert die wirtschaftliche Realität für viele Kreative massiv. 

Trotz all dieser Veränderungen glaube ich, dass es immer wichtiger wird, den persönlichen Moment zu schätzen – auch das Unvollkommene! Es geht um das echte, spürbare Leben. Ein gutes Beispiel dafür ist der Moment bei einem Punkkonzert, wenn man im Moshpit steht und sich dem Pogo hingibt. Echtes Fleisch trifft echtes Fleisch. Diese Erfahrung lässt uns ganz konkret fühlen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Das ist etwas, was keine KI ersetzen kann. 

Vor nicht allzu langer Zeit galt ein Foto als Beweis für die Realität, dann kam Photoshop. Videos hingegen hatten lange eine Art Unantastbarkeitsstatus – was in bewegten Bildern zu sehen war, musste echt sein. Doch mit KI-generierten Videos und Deepfakes verschwimmt auch diese Grenze. Wie verändert das unser Verständnis von Wahrheit? Und wie gefährlich ist das für unsere Gesellschaft? 

Florian: Wir befinden uns gerade in einer Übergangsphase. So wie es damals einen Moment gab, in dem Fotografie plötzlich existierte und sich die Menschen erst daran gewöhnen mussten, dass Bilder nicht mehr nur gemalt wurden, so erleben wir jetzt etwas Ähnliches mit KI-generierten Inhalten. Photoshop hat damals schon gezeigt, dass Bilder manipuliert werden können – jetzt ist das mit Videos genauso der Fall und selbst das war auch weit vor generativer KI nicht zuletzt in Hollywood schon der Fall. Der Unterschied ist, dass heute jede und jeder mit ein paar Klicks hochrealistische Fakes erzeugen kann. Egal ob Text, Foto oder Video. Das verstärkt die Verbreitung von Falschinformationen enorm und ist gerade in Zeiten von schwindenden Demokratien, radikalen politischen Strömungen und gezielter Desinformation eine riesige Gefahr. 

Gleichzeitig bin ich optimistisch: Neue Herausforderungen bringen neue Lösungen mit sich. Es werden Schutzmechanismen und forensische Techniken entwickelt, um Fälschungen zu entlarven. In China etwa soll es eine Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte geben, und auch in der EU werden solche Regulierungen sukzessive kommen. Natürlich kann man versuchen, diese Systeme zu umgehen – aber das ist wie mit Verkehrsregeln: Ein Stoppschild kann man auch abreißen oder ganz einfach zukleben, aber es bleibt halt illegal. 

Wir müssen also neue Standards entwickeln, neue Denkmodelle für den Umgang mit Wahrheit im digitalen Zeitalter. Klar ist aber auch: Die Gefahr von Desinformation wird uns noch über Jahrzehnte begleiten. 

Wir hatten schon fünf Fragen, aber lass uns positiv abschließen: Was stimmt dich positiv? Kannst Du uns einen optimistischen Blick auf die Zukunft mitgeben? 

Florian: Ich verfolge mit großem Interesse, was Organisationen wie die Technologiestiftung Berlin und das CityLAB tun – sie sind Vorreiter im öffentlichen Bereich. Besonders wichtig ist mir dabei das Konzept neuer Allianzen: Wirtschaft, öffentlicher Sektor, Künstler:innen, NGOs und Politik müssen gemeinsam an der verantwortungsvollen Nutzung von KI arbeiten. Wir müssen KI als gestaltbare Technologie begreifen – und sie so nutzen, dass sie nicht nur effizienter macht, sondern auch unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.