Seit 2018 begleitet die Open Data Informationsstelle Berlin (ODIS) unsere Stadt auf ihrem Weg zu einer offenen, nachhaltigen und datengetriebenen Gesellschaft. Der Fokus liegt dabei auf der Bereitstellung und Nutzung offener Daten. In unserer Kolumne berichtet jeweils ein Teammitglied, anhand der Etappen der Open Data Journey, ihre Arbeitserfahrungen und gewährt einen spannenden Einblick in ihre Projekte – inklusive ein paar Geschichten aus dem Nähkästchen!
Warum wir mit offenen Daten im Dunkeln tappen – und das super ist
Im Team der Open Data Informationsstelle (ODIS) gibt es einen Running Gag, und der geht leider auf meine Kosten. Jedes Mal, wenn ich den Ausdruck „Diskussionsräume öffnen“ benutze, ernte ich ein Lachen, wissendes Schmunzeln oder sogar verdrehte Augen. Der Grund? Ich benutze den Ausdruck mittlerweile inflationär, wenn es darum geht, über die Arbeit mit Daten in der Berliner Verwaltung zu sprechen. Inzwischen fällt es mir selbst in den seriösesten Gesprächen mit Externen schwer, diesen Satz zu verwenden, ohne vor meinem inneren Auge zu sehen, wie meine Kolleg:innen mir das imaginäre Phrasenschwein hinhalten. Und doch kann ich einfach nicht mehr ohne ihn. Denn er beschreibt den Umgang mit einer essenziellen Eigenschaft offener Daten, die gleichzeitig spannend und frustrierend ist: Daten werden veröffentlicht, ohne dass wir genau wissen, wer, wann und wie oder ob sie überhaupt genutzt werden. Warum es sich aber trotzdem lohnt? Knipse das Licht im Diskussionsraum an und finde es heraus!
Spotlight an: Diskussionsräume helfen Datenpotentiale zu verstehen
Mit „Diskussionsraum“ ist kein physischer Raum gemeint, auch wenn in unseren Büros und Workshop-Räumen im CityLAB Berlin häufig und leidenschaftlich diskutiert wird. Vielmehr beschreibt der Begriff, wie wir Erkenntnisse und Entscheidungen in Datenprojekten entwickeln. Er spiegelt unser Selbstverständnis im Umgang mit Open Data und Datenmanagement wider. Bei ODIS liegt unser Fokus auf der Bereitstellung und Nutzung von Verwaltungsdaten. Dafür haben wir die Open Data Journey entwickelt, einen Leitfaden, der in der ersten Etappe „Datenpotenziale verstehen“ zeigt, dass nicht immer gleich der perfekte Use Case für jedes Datenprojekt vorliegen muss. Vielmehr geht es darum, Potentiale und Hürden iterativ zu erkunden und zu diskutieren. Wir sollten Daten als Basis-Infrastruktur für innovative Projekte verstehen.
Ein besonders spannendes Beispiel und eines meiner Lieblingsprojekte zeigt, wie überraschend vielschichtig und unvorhersehbar ein Datenvorhaben sein kann, wenn die Rahmenbedingungen offen gestaltet und engagierte Mitstreiter:innen an Bord sind. Dieses Projekt weckt bei mir außerdem nostalgische Erinnerungen an den Schulranzen voller “Lustiger Taschenbücher” – aber der Reihe nach!
Ein Beispiel aus der Praxis – und eine Erinnerung an Entenhausen
Stell dir vor, es ist 2030 in einer Berliner Bibliothek: Dank präziser Datenanalysen wissen die Mitarbeitenden genau, was die Menschen im Kiez bewegt. Bücher und Veranstaltungen sind perfekt auf die Bedürfnisse abgestimmt und selbst die stillsten Ecken der Gesellschaft werden mit maßgeschneiderten Angeboten erreicht. Die Auslastung wird in Echtzeit analysiert und prognostiziert und personelle, sowie finanzielle Ressourcen mittels Datenunterstützung effizient eingesetzt. Der Weg zu solchen Utopien wird klarer, wenn wir “Diskussionsräume” nutzen, wie in der Zusammenarbeit mit der Janusz-Korczak-Bibliothek in Pankow deutlich wurde.
Ursprünglich wollten wir einfach die Daten der Ausleihstatistiken veröffentlichen, diese anonymisieren, veröffentlichen und daraus ein Dashboard erstellen, das den Bibliotheksmitarbeitenden helfen sollte, die Nutzung des Bibliotheksangebots besser zu verstehen. Was dann aus diesen Daten wurde, zeigt die Faszination offener Daten: Sie eröffnen Räume für Gespräche, Kreativität und neue Entdeckungen. Das Dashboard ermöglicht einen ganz neuen Zugang zu den Daten, sodass sich etwa die meistgeliehenen Medien nach Kategorie oder Nutzergruppen schnell erforschen lassen. Für mich hielt das bereits die verblüffenden Erkenntnisse bereit, dass ein geliebtes Werk meiner Kindheit, das “Lustige Taschenbuch”, es heute noch unter die Top 10 der Entleihungen schafft! Die Mitarbeitenden der Bibliothek zeigten sich anfangs weniger beeindruckt. Für sie nichts neues! Die echten Erkenntnisse kamen für sie erst durch die Diskussionen und Analyse der Daten zutage, etwa zur räumlichen Verteilung der Nutzer:innen, die zuvor nicht beachtet wurde.
Diese Erkenntnisse zeigten, dass das Dashboard allein nicht ausreichte. Erst im Dialog mit der Bibliothek kam die Idee auf, weitere behördenübergreifende Datenquellen wie Sozialindizes oder demographische Informationen hinzuzuziehen. Einige dieser Daten liegen bereits in guter Qualität vor, für anderen noch nicht vorhandene Daten können wir uns in Zukunft stärker einsetzen. Es stellte sich heraus, dass spezialisierte Analysetools wie Geoinformationssysteme (GIS) und entsprechende Skills zur Nutzung, erforderlich sind, um tiefere Einblicke zu erhalten. In GIS-Workshops mit den Mitarbeitenden verschiedener Bezirksbibliotheken wurden neue Wege der Analyse und Anwendung entwickelt, die vorher nicht absehbar waren. Genau darin liegt die Stärke eines offenen Diskussionsraums: Kein fester Plan, sondern gemeinsamer Austausch führt zu innovativen Lösungen.
Daten-Talk im Kiez: Der nächste Schritt zur urbanen Utopie?
In der Berliner Verwaltung gibt es noch viele Datenschätze, die neuartige Projekte ermöglichen können. Das Öffnen von Daten ist also kein Akt der Gefälligkeit Richtung Stadtgesellschaft, sondern ein Schritt Innovation in der Verwaltung zu fördern. Aber je mehr Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Zielstellungen Zugang zu Daten erhalten, desto kreativere Ideen entstehen – über den ursprünglichen Erhebungszweck der Daten hinaus! Der Effekt wird in Zukunft durch Technologien wie Large Language Modelle, die auch in weniger Fachkundige einbinden, verstärkt.
Es ist deshalb auch wichtig, den Diskurs über die Daten stärker mit der Stadtgesellschaft, Forschung und Wirtschaft zu führen und die Diskussionsräume einer größeren Anzahl an Menschen zu öffnen; das erprobt demnächst auch das Open Data Forum des Bundes. In unserem Bibliotheksprojekt arbeiten wir weiter daran, die Ausleihdaten nicht nur für Pankow, sondern für ganz Berlin verfügbar zu machen und dadurch den Mehrwert für noch mehr potenzielle Nutzer:innen in einem gesamtstädtischen Kontext zu erhöhen.
Übrigens, wenn Du Lust bekommen hast, mal wieder ein Lustiges Taschenbuch zu leihen und mit uns über Verwaltungsdaten und weitere Smart City Themen zu diskutieren, dann schau doch bei meinen Kolleg:innen im Kiezlabor vorbei. Das steht vom 10. September – 04. Oktober im Innenhof der Bibliothek am Wasserturm in Pankow.
Die nächste ODIS-Kolumne, diesmal von Datenenthusiast Klemens Maget, widmet sich dem Thema „Daten identifizieren & beschreiben“. Du kannst sie nächsten Monat auf dem CityLAB-Blog lesen.