Open Source hat langsam Oberwasser

Von Benjamin Seibel – 5. Dezember 2023

Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 05.12.2023 veröffentlicht.

Nachdem ich mir hier zuletzt meinen Frust über unsere ausufernde Bürokratie von der Seele schreiben durfte, habe ich diesmal nur gute Nachrichten im Gepäck: Ich war nämlich, wie viele von Ihnen wahrscheinlich auch, auf der „Smart Country Convention“ und konnte dort feststellen, dass eines meiner persönlichen Herzensthemen in diesem Jahr in aller Munde war: Open Source Software für die öffentliche Verwaltung.

Nun ist die grundsätzliche Debatte um „Public Money, Public Code“ natürlich alles andere als neu. Ich hatte aber doch den Eindruck, dass noch einmal einige Bewegung in das Thema gekommen ist und wir langsam aber sicher einen kritischen Punkt erreichen, an dem Open Source nicht länger ein Nischendasein fristet, sondern zu einem echten Standard der Verwaltungsdigitalisierung werden kann. 

Das lässt sich an verschiedenen Punkten festmachen:

Erstens sehen wir – endlich! – eine zunehmende Institutionalisierung, sowohl auf Ebene der Länder als auch im Bund. Während wir an unserem Berliner Gemeinschaftsstand auf der SCCON die Eröffnung des Berliner Open Source Kompetenzzentrums feierten, präsentierte sich nur einige Meter weiter das vom BMI initiierte Zentrum für digitale Souveränität (ZenDIS), das zukünftig als zentrale Anlaufstelle und Impulsgeber für Open Source Software in der Bundesverwaltung fungieren wird. Über den Sovereign Tech Fund investiert die Bundesregierung zudem schon seit letztem Jahr in die Pflege und Entwicklung ausgewählter Open Source-Komponenten.

Zweitens gibt es immer mehr Beispiele für gute Open Source-Produkte, die speziell für den Einsatz in der Verwaltung entwickelt wurden. Auf der Messe konnte ich etwa eine nahezu fertige Version von „OpenDesk“ ausprobieren, dem „souveränen Arbeitsplatz“ für Verwaltungsbeschäftigte, der unter Federführung des BMI entwickelt wurde. Statt das Rad unnötig neu zu erfinden, werden hier verschiedene bewährte Open Source-Lösungen kombiniert. Neben einem Office-Paket umfasst die OpenDesk-Suite zahlreiche weitere Kollaborationtools (Filesharing, Projektmanagement, Videokonferenzen, Whiteboards, Chat etc.) und all das ­– hört, hört – in einem intuitiven und übersichtlichen Browser-Interface.

Der Quellcode von OpenDesk findet sich übrigens auf der verwaltungseigenen GitHub-Alternative “OpenCode“, die sich, trotz manch skeptischer Stimmen im Vorfeld, inzwischen einer immer größeren Beliebtheit erfreut. Zwar mangelt es der Plattform hier und da noch an Übersicht, aber prinzipiell wird hier ein lange währendes Problem adressiert, nämlich dass der Einsatz von Open Source in der Verwaltung nur dann Mehrwerte und Synergien entfalten kann, wenn der Code auch tatsächlich auffindbar ist. Inzwischen scheinen immer mehr Behörden zu verstehen, dass ein transparenter Umgang mit der eigenen IT-Infrastruktur weit mehr Vor- als Nachteile bringt, so ungewohnt ein solches Arbeiten „im Offenen“ auch zunächst wirken mag.

Digitale Souveränität gibt es nicht zum Nulltarif

Zu guter Letzt scheinen diese erfreulichen Entwicklungen auch bei vielen Dienstleistern einen Bewusstseinswandel auszulösen. So war auf der Messe auffällig, dass immer mehr Beratungs- und IT-Unternehmen inzwischen Open Source-Angebote für Verwaltungen im Portofolio haben. Wurde früher in der Regel versucht, Behörden an eigene, proprietäre IT-Ökosysteme zu binden, so erarbeiten sich nun jene Player einen Wettbewerbsvorteil, die das wachsende Bedürfnis nach Offenheit und Interoperabilität bedienen können.

All diese hier beschriebenen Entwicklungen verstärken sich gegenseitig und tragen dazu bei, die Attraktivität von Open Source Software für die Verwaltung insgesamt zu steigern. Für uns als öffentliches Innovationslabor, aber auch für eine neue Generation von Open Source-freundlichen IT-Dienstleistern und GovTech-Startups, liegt darin eine große Chance. Je größer das Open Source-Ökosystem im öffentlichen Sektor wird, desto größer werden auch die Möglichkeiten für übergreifende Zusammenarbeit. Desto leichter wird es, Lösungen, die an anderer Stelle bereits funktionieren, auszuprobieren, zu adaptieren und gemeinsam weiterzuentwickeln.

Gleichzeitig gilt aber auch weiterhin: Digitale Souveränität gibt es nicht zum Nulltarif. Wer sich mit Hilfe von Open Source aus alten Abhängigkeiten lösen möchte, muss im Gegenzug mehr Verantwortung für die eigene IT-Infrastruktur übernehmen. Und offene Ökosysteme und Communities leben davon, dass nicht nur viele sich an Ihnen bedienen können, sondern umgekehrt auch viele etwas beisteuern. Behörden, die wirklich von einer Open Source-Kultur profitieren möchten, sollten auch bereit sein, in den dafür nötigen Kompetenzaufbau zu investieren, ihn als Regelaufgabe begreifen und dauerhaft mit Ressourcen zu hinterlegen. Es sind Investitionen, die sich auszahlen werden.