Innovation braucht Infrastruktur

Von Benjamin Seibel – 23. Oktober 2024

Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 23.10.2024 veröffentlicht.

Kürzlich stolperte ich beim Aufräumen meines digitalen Archivs über eine gut sechs Jahre alte Studie zu Best Practices im Bereich öffentlicher und urbaner Innovation. Aus Neugier folgte ich ein paar Links zu den darin hervorgehobenen Projekten und fand – nahezu nichts.

Keine der zum Großteil mit öffentlichen Mitteln finanzierten Anwendungen war noch online. In vielen Fällen fanden sich nicht mal mehr Spuren oder Hinweise, dass es die Projekte jemals gegeben hat. Auch wenn es immer heißt, das Internet würde nichts vergessen – auf Smart City-Vorhaben scheint das nicht zuzutreffen.

Nun sind sechs Jahre in der digitalen Welt eine lange Zeit, in der sich vieles verändern kann. Und doch scheint mir hier ein strukturelles Defizit sichtbar zu werden, das nach wie vor ungelöst ist: Wir haben bis heute kein schlüssiges Konzept, um öffentlich geförderte Digitalprojekte in einen dauerhaften Betrieb zu überführen.

In meiner Juni-Kolumne habe ich davon berichtet, wie aufwändig es sein kann, eine neue Fachanwendung in die IT-Infrastrukturen der öffentlichen Verwaltung zu integrieren.[1] Mit Blick auf die durchaus heterogene Smart City-Landschaft ist das Problem noch einmal deutlich größer, denn hier gibt es oftmals schlicht gar keine Infrastruktur, in die integriert werden könnte.

Warum die Leuchtturmprojekte oft zu Ruinen werden

Die großen IT-Dienstleister von Bund und Ländern sind in der Regel schon ganz gut damit ausgelastet, das Kerngeschäft der Verwaltung am Laufen zu halten und entsprechend wenig erpicht darauf, nebenbei noch irgendwelche kommunalen Beteiligungsplattformen oder smarte Straßenlaternen zu betreiben. Für viele Smart City-Projekte stellt sich deshalb spätestens nach Ablauf des Förderzeitraums die Frage, wo, und vor allem ob, sie ein digitales Zuhause finden.

Deutschland hat sich schon in der Smart City Charta von 2017 dazu bekannt, die Digitalisierung von Kommunen gemeinwohlorientiert zu gestalten. Das ist gut und richtig, es bedeutet aber auch, dass nicht mit jedem Smart City-Projekt Profite erwirtschaftet werden können. Aus eben diesem Grund fördert der Bund die Entwicklung von gemeinnützigen Innovationen im Rahmen der „Modellprojekte Smart Cities“, aber auch in zivilgesellschaftlich orientierten Programmen wie dem Civic Coding-Netzwerk oder dem Prototype Fund.

Nur leider fördert man eben ausschließlich die Entwicklung, nicht jedoch den in der Folge notwendigen Betrieb. Jeder Zuwendungsempfänger kennt dieses Problem: Kaum ist das Produkt fertig, ist auch das Geld alle. Wer nun darauf verweist, dass digitale Anwendungen nicht einfach „fertig“ sind, sondern im Betrieb laufende Kosten verursachen und Wartung erfordern, erntet Schulterzucken.

Das hat bekanntermaßen zu einer Förderlandschaft geführt, in der wir zwar fleißig immer neue kommunale Digital-Leuchttürme entwickeln, diese dann aber mangels Verstetigungsmöglichkeiten zu Ruinen verfallen lassen. Smart City als Geisterstadt. 

Mögliche Wege aus der Geisterstadt

Aus dieser misslichen Lage werden wir nur herausfinden, wenn wir eine ganzheitliche Perspektive einnehmen und lernen, gemeinnützige Innovation als Ökosystem zu betrachten. Und wenn wir den politischen Willen aufbringen, dieses Ökosystem aktiv zu gestalten, statt lediglich nach dem Prinzip Hoffnung Fördergelder mit der Gießkanne auszuschütten.

Man könnte etwa mit einem Bruchteil der jährlichen Fördermittel ein zentrales DevOps-Team oder eine kleine Institution aufbauen, die es sich zur Aufgabe macht, eine gemeinnützige Cloud-Infrastruktur für öffentliche Innovationen aufzubauen und zu betreiben. Aus den zahlreichen Förderprojekten könnte man jedes Jahr die vielversprechendsten auswählen, schrittweise skalieren und in einen Regelbetrieb überführen.

So gäbe es nicht nur einen klaren Verstetigungspfad für erfolgreiche Förderprojekte, sondern auch viele positive Nebeneffekte: Ein zentraler Betrieb und die technische Betreuung würden einzelne Projekte entlasten und zugleich deren Sichtbarkeit erhöhen. Nutzungszahlen könnten einheitlich erfasst und für weitergehende Evaluationen ausgewertet werden. Technische Standards und einheitliche Open Source-Lizenzen ließen sich leichter etablieren. Und nicht zuletzt könnte man auf diese Weise ein systematisches, institutionell verankertes Lernen aus vergangenen Projekten ermöglichen.

Verantwortung für den Betrieb sichern

Durch den aktuellen KI-Hype ist der Bedarf nach zentraler Infrastruktur noch einmal dringlicher geworden. Denn ist es wirklich sinnvoll, dass jedes Förderprojekt erst einmal einen substanziellen Teil der Fördersumme darin investieren muss, eigene KI-Infrastruktur einzukaufen? Wieso erhält man mit dem Förderbescheid nicht einfach Zugang zu einer Auswahl an datenschutzkonformen KI-Modellen und weiteren niedrigschwelligen Werkzeugen, die kostenfrei genutzt werden können?

Dass die öffentliche Hand eigene technische Einheiten aufbaut, um die Entwicklung von Innovationen zu unterstützen, ist eine Idee, die mitunter noch auf Vorbehalte stößt. Aber Positivbeispiele wie die FITKO, der DigitalService oder das noch junge ZenDiS zeigen doch: Die wirklichen Fortschritte bei der öffentlichen Digitalisierung machen wir dort, wo technisch kompetente Teams an zentraler Stelle Verantwortung, neudeutsch „Ownership“, für den Betrieb digitaler Produkte und Infrastrukturen übernehmen. Auch für unsere Smart City-Landschaften wäre es eine sinnvolle Entwicklung.