Jede und jeder kennt ihn – den unausweichlichen Gang zur Behörde. Mit präzise ausgefüllten Formularen unter dem Arm, sicherheitshalber in eine Sichtmappe gepackt, schleicht man auf leisen Sohlen die endlosen Gänge runter. Vorbei kommt man an verschlossenen Türen mit laminierten Beschriftungen, die hie und da mit einem mittelmäßigen Comic versehen sind. Trifft man – endlich – auf eine:n Mitarbeitende:n der Verwaltung, sind beide Parteien schon gestresst.
Die “Schuld” liegt dabei in den meisten Fällen weder bei den Bürger:innen noch bei den Mitarbeitenden der Verwaltung. Während die Bürger:innen mit komplizierten Formularen kämpfen, die verwirren statt aufklären und Dienstleistungen, die verkomplizieren statt vereinfachen, stehen auch Verwaltungsmitarbeitende, als ausführendes Organ des Innovationsbestrebens und – drucks der öffentlichen Hand, vor großen Herausforderungen. Prozesse werden umgestaltet und digitalisiert; es gilt nach außen diverse Zielgruppen anzusprechen und intern fach- und behördenübergreifend zusammenzuarbeiten. Damit das gelingt, wird das richtige Know-How und Methodenwissen benötigt.
Hier kommen unsere Service Agent:innen-Schulung ins Spiel, ein Weiterbildungsformat für Beschäftigte der Berliner Verwaltung, das in Kooperation mit Prof. Daniela Hensel / why does robin und Johanna Götz / studiovorort konzipiert und durchgeführt wird. Verwaltungsmitarbeitende werden durch die Weiterbildung befähigt, Prozesse mit Hilfe von Service Design-Methoden zu gestalten und mit einem Methodenkoffer voller zeitgemäßer und agiler Arbeitsweisen ausgestattet.
Service Design arbeitet auf der Grundlage des Nutzer:innenerlebnis – denn niemand kann besser Auskunft geben als die Personen, die einen Service von Anfang bis Ende mit echten Bedürfnissen oder auch Handicaps durchlaufen haben. Wie dies in der Praxis aussieht zeigt euch die neue Webseite der Service Agent:innen-Schulung. Hier erhaltet ihr nicht nur einen Überblick über die Vorteile von Service Design, sondern auch Einblick in 8 Module für eine agile Arbeitsweise, Hintergrundinformationen zu den Methoden, konkrete Beispiele aus der Praxis, Arbeitsblätter, damit ihr direkt loslegen könnt und Links zu weiterführenden Ressourcen. Einen kleinen Überblick zu den Modulen erhaltet ihr im folgenden Beitrag.
Modul 1: Service Design und Nutzer:innenorientierung
Wir alle haben ein bestimmtes Bild der Behörden im Kopf, welches oft mit einem Stressgefühl einhergeht. Der “Fehler” liegt jedoch weder bei den Mitarbeiter:innen noch bei den Nutzer:innen, sondern bei den Services selbst, wird dort aber nur selten gesucht. Um zu gewährleisten, dass ein Angebot der Verwaltung, wie beispielsweise ein Formular, auch wirklich den Bedürfnissen und individuellen Voraussetzungen der Zielgruppe entspricht, muss es konsequent aus der Perspektive der Nutzer:innen gedacht werden. Also in unserem Fall aus der Perspektive der Bürger:innen. Wie wird eine solche Nutzer:innenorientierung erreicht? Das und mehr erfahrt ihr in Modul 1.
Modul 2: Die Nutzer:innenperspektive
In Modul 2 lernt ihr Tipps und Tricks, wie ihr einen Service durch die Augen anderer erleben könnt, denn es ist ein großer Unterschied, ob man sich die Nutzer:innen nur vorstellt oder diese auch tatsächlich beobachtet und befragt. Die Nutzer:innensichtweise ermöglicht einen einmaligen Einblick in die Außenperspektive, der Mitarbeitenden meist nicht zugänglich ist, wie folgendes Beispiel zeigt:
Die bekannte Designagentur IDEO wird von einem Krankenhaus damit beauftragt, ein Tablet zu entwickeln, mit dem Patientendaten aufgenommen werden können. IDEO arbeitet dabei mit zwei zentralen Methoden des Service Designs: Ergebnisoffenheit und Beobachtung der Nutzer:innen. Sie beobachten, dass die Krankenhausmitarbeiter:innen zur Beruhigung der Patient:innen ihre Hand halten – damit sind sie also nicht in der Lage, beide Hände zur Bedienung des Tablets zu nutzen. So entwickelt IDEO ein kleines Gerät, das leicht mit einer Hand bedient werden kann und ideal auf die Nutzer:innen abgestimmt ist. Ohne eine genaue Beobachtung der Realität, wäre hier vielleicht ein ganz anderes Produkt entstanden.
Modul 3: Unterschiedliche Perspektiven zusammenführen
In Modul 3 geht es darum, einen reibungsloser Ablauf “hinter den Kulissen” zu gewährleisten, der sich mit den Bedürfnissen der Nutzer:innen überein bringen lässt. Eine beispielhafte Situation, die wahrscheinlich die meisten von uns kennen, ist der Besuch bei einer Ärztin oder einem Arzt. Aus Datenschutzgründen war es lange Zeit nicht möglich, Daten innerhalb des Gesundheitssystems auszutauschen. Dies bedeutete für die Patient:innen, dass sie immer wieder die gleichen Fragen und Formulare ausfüllen mussten und sich gefühlt immer wieder am Beginn einer Behandlung befanden. Die funktionalen und emotionalen Bedürfnisse von Nutzer:innen und Verwaltungsmitarbeiter:innen sind oft recht unterschiedlich – doch das Bedürfnis nach einem guten Service ist bei beiden Seiten vorhanden. Eine wichtige Aufgabe im nutzer:innenorientierten Arbeiten ist es daher, an einem Punkt alle Perspektiven zusammenzuführen und zu schauen, auf welche Art sie sich am besten verknüpfen lassen. Welche Methoden dabei zum Einsatz kommen erfahrt ihr auf der Webseite der Service Agent:innen-Schulung.
Modul 4: Nutzer:innenbefragung
In Berlin Neukölln wurden Schüler:innen während eines Service Design-Prozesses mit dem zahnärztlichen Dienst zu ihren Erfahrungen mit der Dienstleistung befragt. Mit Hilfe von Bildmaterial gaben sie dabei in ihren Worten einzelne Aktionen im Service wieder. Auch wenn diese Vorgehensart nicht einer breit angelegten Erhebung oder quantitativen Befragung entspricht, hat sie einen grossen Effekt, da das Miteinbeziehen von “echten” Stimmen eine völlig neue Perspektive auf den Service mit sich bringt und dafür sensibilisiert, eigene Annahmen zu hinterfragen. Welche Formen eine Befragung annehmen kann und wie man sich dadurch mit Nutzer:innen auseinandersetzt, behandelt Modul 4.
Modul 5: Erfahrungsschatz nutzen, Spielräume erkunden
Die Verwaltung wird sehr oft auch intern mit den beiden Klischee-Sätzen “Das haben wir schon immer so gemacht” oder “Das haben wir noch nie so gemacht” in Verbindung gebracht. Diese Haltung der Unveränderlichkeit spiegelt jedoch nicht die Realität der Verwaltung wieder – schon allein, weil es nicht “die Verwaltung” gibt. In Modul 5 geht es darum, Verwaltungsmitarbeitende dafür zu sensibilisieren, ein “Window of Opportunity” in den Blick zu nehmen und am Beispiel erfolgreicher Veränderungen aus Behörden zu zeigen, wie mit vorhandenen Spielräumen umgegangen werden kann. Ein solches erfolgreiches Beispiel ist der Bauhof der Stadt Herrenberg, der mit Hilfe der Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg agiles, bürgerzentriertes und selbstverwaltetes Arbeiten eingeführt hat. Dadurch konnte die Mitarbeiter:innenzufriedenheit erhöht werden und die neu eingeführten Maßnahmen werden in der Stadtverwaltung weiter ausgeweitet.
Modul 6: Nutzer:innenzentrierte Sprache
„Informationen sind da” ist nicht das gleiche wie “Alle Informationen sind verständlich”. Der Designer Thomas Weyres hat in einem Vortrag das Hartz IV-Antragsverfahren aufgegriffen und folgende Überlegungen angestellt: “Wie soll ein Antrag aufgebaut und gestaltet sein, der sowohl die Bedürfnisse des Antragstellers nach Orientierung, Verständlichkeit und Zeit- und Kosteneffizienz bei der Bearbeitung als auch den Kontext, aus dem der Antrag gestellt wird, ernst nimmt? Nachvollziehbar und empathisch gestaltete er das bestehende Antragsverfahren um und präsentierte eine bestechende und nutzer:innenfreundliche Alternative. Auf unserer Seite erfährst du, wie solch ein nutzer:innenfreundliches Ergebnis aussehen und selbst gestaltet werden kann.
Modul 7: Prototyping
Früher Scheitern bedeutet schneller Lernen! Auch wenn es seltsam klingt, die genannte Prämisse umfasst die Grundidee und auch den Mehrwert von Prototyping. Was bedeutet das genau? Der Industriedesigner Doug Dietz gestaltete in einem “klassischen” Design Thinking-Prozess ein nutzer:innenorientiertes und in Prototypen entwickeltes MRT-Gerät für Kinder. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie beängstigend diese Untersuchung für Kinder sein kann und wie oft sie zum Abbruch der Behandlung führt. Er entwickelte die “Adventure Series” die ein normales MRT-Gerät in ein Piratenschiff oder eine Rakete verwandelt und den Kindern dadurch eine spielerische Reise ermöglicht. Die Abbruchrate der Untersuchungen sind in diesen Geräten wesentlich geringer. Prototyping ermöglicht also eine kreative und gleichermaßen effiziente Arbeitsweise, die durch eine schnelle Testung auch eine schnelle Fehlerbehebung vornehmen kann. Wie Prototyping in der Verwaltung funktioniert erfahrt ihr in Modul 7.
Modul 8: Innovationsprojekte überzeugend präsentieren
Wir sind am Ende der Schulung angekommen und gehen davon aus, dass sich Verwaltungspioniere aufgemacht haben, um Veränderungen in ihren Abteilungen und Teams herbeizuführen. Mit den drei abschließenden Tipps, die ihr in Modul 8 erfahrt, sollte dem Unterfangen nichts mehr im Wege stehen! Wir sind schon sehr gespannt, welche kreativen und innovativen Entwicklungen wir bald in der Verwaltung sehen werden!
Dieser Beitrag wurde von unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Nora Eilers auf Basis der Projektseite der Service Agent:innen-Schulung erstellt.