Die kleinste Einheit, die Großes bewegt: Stadtentwicklung mit Quartiersmanagement und Kiezlabor

Ein Interview mit Teresa Rodenfels vom Quartiersmanagement Titiseestraße und Henriette Närger vom CityLAB Berlin

Von Anna Hantelmann – 21. Juli 2025

Wie sieht Stadtentwicklung aus, die nicht nur digital und datenbasiert arbeitet, sondern die Lebensqualität und Teilhabe in den Kiezen auch spürbar verbessert? Das erproben wir mittlerweile im dritten Jahr mit unserem Kiezlabor, das digitale Tools zum Mitgestalten direkt vor die Haustür von Berliner:innen bringt. Welche Rolle dabei bestehende Beteiligungsprozesse, das jeweilige Quartiersmanagement (QM) und die Nachbarschaftsgestaltung mit künstlicher Intelligenz spielen – das erfahrt Ihr im Interview.  

das Kiezlabor auf dem Poppele Platz
das Kiezlabor auf dem Poppele Platz

Gemeinsam mit dem Quartiersmanagement Titiseestraße waren wir diesen Sommer zwei Wochen auf dem Poppele-Platz in Berlin-Reinickendorf, um bei der Platz-Umgestaltung hin zu einer lebendigen und sicheren Nachbarschaft zu unterstützen.  

Im Interview sprechen wir mit Teresa Rodenfels vom Quartiersmanagement Titiseestraße und Henriette Närger vom CityLAB Berlin über Berlins Stadtentwicklung, die Digitales genauso wie Soziales mitdenkt.  

Das Quartiersmanagement ist quasi die kleinste Einheit in der Stadtentwicklung – was hat Einfluss auf die Wirksamkeit Eurer Arbeit und warum arbeitet Ihr mit dem Kiezlabor zusammen?  

Teresa: Zentraler Hebel unserer Arbeit ist die Nähe mit und der Austausch zu allen Menschen vor Ort, also Bewohner:innen, Einrichtungen, Organisationen und Verwaltung. Über die Zusammenarbeit mit dem Kiezlabor haben wir uns besonders gefreut, weil wir ihre Arbeit besonders zugänglich, flexibel und professionell finden. Sich zwei Wochen an einem Ort aufzuhalten, kennenzulernen und zusammenzuarbeiten, das ist einfach und wirksam – und die gewonnenen Ergebnisse und die Erfahrungen des Kiezlabor haben uns auf jeden Fall neue Erkenntnisse über die Wünsche, Bedarfe und das alltägliche Verhalten auf dem Platz gebracht.  

Teresa Rodenfels vom Quartiersmanagement Titiseestraße
Teresa Rodenfels vom Quartiersmanagement Titiseestraße

Bei der Gestaltung öffentlicher Räume denkt man erstmal an mehr Grün oder mehr Sitzgelegenheiten. Welche Ideen begegnen Euch im Kiezlabor noch und inwieweit helfen digitale Tools, Stadtvisionen überhaupt zu generieren?  

Henriette: An Ideen mangelt es fast nie. Die Spanne geht vom Offensichtlichen wie mehr Grün bis zu großen Träumen wie einem öffentlichen Pool statt Parkplätzen. Digitale Tools wie unsere KI-gestützte Visualisierungs-Software KIezvisionen helfen diese Ideen – egal ob realistisch oder nicht – zu visualisieren. Es muss auch nicht immer realistisch sein, denn erstmal geht es um die Diskussion, die dabei entsteht.  Beispielsweise zurück zur Grünfläche: Viele wünschen sich mehr Blumen, aber wer kümmert sich dann um das Gießen? Wenn eine Schulkasse bei uns auf diese Idee kommt und sie mithilfe von KI visualisiert, kann die gemeinsame Gieß-AG gleich mitgegründet werden. Als Kiezlabor helfen wir dabei, solche Räume zu schaffen: Räume für Diskussion und Räume mit mehr Blumen, die im besten Fall auch noch gemeinschaftlich gegossen werden.  

Henriette Närger vom Team Kiezlabor
Henriette Närger vom Team Kiezlabor

Merkt Ihr denn einen Unterschied und Mehrwert, wenn Menschen mit Künstlicher Intelligenz agieren?  

Das Stichwort ist hier: Neugier. Ganz viele, die zu uns ins Kiezlabor kommen, sind erstmal neugierig, und wenn diese Neugier auf kreative KI-Anwendungstools stößt, ist die Begeisterung natürlich groß. 

Im Stadtentwicklungskontext gibt es aber auch viele analoge Möglichkeiten, die wirken, zum Beispiel können wir ganz einfach eine Palette dort hinstellen, wo mal eine Parkbank stehen soll – das wäre eine ganz einfache Visualisierung. Die Visualisierung mit KI kann aber eben konkret dabei helfen, die Angst vor Veränderungen zu nehmen. Denn Stadtentwicklung bedeutet Transformation und damit Veränderungen – und Veränderung macht immer erstmal Angst. Bilder für positive Veränderung sind da sehr wertvoll.  

Wenn Menschen im Kiezlabor-Kontext mit KI agieren, besteht der Mehrwert nicht darin, dass KI plötzlich die Probleme vor Ort automatisch löst, sondern KI hilft in der Kommunikation: In der visuellen Kommunikation von Veränderung, in der Auswertung der wertvollen Kommunikation vor Ort mit dem Tool Dembrane, oder in der Kommunikation von Bäumen wie dem Treebot. Und der sprechende Baum löst zwar nicht das Problem der Trockenheit, aber er löst das Problem, dass Menschen verlernt haben auf natürliche Art die Bäume zu verstehen. 

Foto vom Poppele-Platz, bearbeitet mit UrbanistAI
Foto vom Poppele-Platz, bearbeitet mit UrbanistAI
Foto vom Poppele-Platz, Original und unbearbeitet

Wenn es um die langfristige Umgestaltung des Quartiers geht – wie könnt ihr da konkret unterstützen? Und an wen richten sich die gesammelten Wünsche und Ideen am Ende? 

Teresa: In unserem Handlungskonzept für die Dauer des Quartiersverfahren in der Titiseestraße haben wir in Zusammenarbeit mit den Bewohner:innen, Einrichtungen und Fachämtern des Bezirks konkret bauliche und sozio-integrative Handlungsbedarfe erhoben und Maßnahmen benannt. Diese arbeiten wir im Laufe der geplanten 15 Jahre ab – aktuell sind wir im fünften Jahr – und werden fortlaufend durch neu entstehende Bedarfe ergänzt. Bei den Baumaßnahmen sind Beteiligungsverfahren integriert. Gleichzeitig sind wir als QM erstes Beteiligungsinstrument vor Ort, durch alltägliche Gespräche mit der Nachbar:innenschaft und unsere Bewohnendengremien. Die Wünsche und Ideen fließen direkt in die Projekt- und Bauplanung mit ein, je nach Realisierbar- und Vereinbarkeit mit Bestimmungen und den anderen Wünschen.  

In puncto Beteiligung: Was funktioniert und was nicht? 

Teresa: Nach unseren Erfahrungen funktioniert es gut, draußen zu sein, mit Tischen und Stühlen, vielleicht was zu trinken und einer offenen Haltung. Auch und insbesondere Personen direkt anzusprechen, weil die sozialen Hürden, dies selbst zu tun, oft groß sind. Und wenn es eine vertrauensvolle Brücke, also gibt, in Kontakt zu kommen, umso besser. Es ist natürlich wichtig, realistisch zu beteiligen, mit Ausblick, was davon wie verwirklicht werden kann, und wirklich entscheidend – die Möglichkeit für Mehrsprachigkeit, weil ansonsten viele Personen nicht teilnehmen können.  

Ein Schlusswort von Euch: Wofür soll Berlins Stadtentwicklung zukünftig stehen?  

Teresa: Auf jeden Fall für die Menschen, für eine klima- und sozialgerechte Transformation, für gemeinsame, schöne, schattige und grüne Orte, die nichts kosten, allen zur Verfügung stehen und gemeinsam gestaltet werden können.  

Henriette: Für Orte wie das Tempelhofer Feld. Da wird Stadtentwicklung Raum gelassen, wortwörtlich. Es gibt so viele Initiativen, die in einem gesicherten Rahmen agieren können – mit Öffnungszeiten, Security und Sauberkeit, und vor allem mit genug Raum für Diversität: Ob Fahrradwerkstatt, Gemeinschaftsgärten, Windsurfen oder Cricket Turniere.  

Ich wünsche mir auch, dass wir nicht nur “Nein, vielleicht oder in 10 Jahren” sagen, sondern ambitioniert und offen bleiben. Außerdem bestehende Infrastruktur stärken und ausbauen und nicht kleinteilig neu denken oder gar abschaffen. Apropos ambitioniert bleiben: In Paris planschen die Leute diesen Sommer in der Seine an öffentlichen Badestellen – also meine Taucherbrille für die Spree läge bereit.