Ein Release ist nicht der Abschluss, sondern erst der Anfang

Von Benjamin Seibel – 3. April 2024

Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 03.04.2024 veröffentlicht.

Vor einigen Wochen haben wir unseren Prototypen Parla veröffentlicht, der mehr als 10.000 Dokumente aus dem Berliner Abgeordnetenhaus durch ein KI-Sprachmodell durchsuchbar macht (TSP Background berichtete).In der Folge haben uns zahlreiche ermutigende Zuschriften erreicht, ein großer Teil davon aus Verwaltungen, die sich ebenfalls für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz interessieren oder sogar schon an ähnlichen Produkten arbeiten. Als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der KI-Hype endgültig auch im öffentlichen Sektor angekommen ist.

Noch mehr gefreut haben wir uns über Rückmeldungen von Nutzer:innen, die Parla im Arbeitsalltag bereits gewinnbringend einsetzen. Denn im Sinne eines agilen, prototypischen Arbeitens markiert ein Release für uns nicht den Abschluss des Projekts, sondern den Beginn einer neuen Phase des Lernens und Beobachtens. Es geht nun darum, zu verstehen, wie ein Produkt in der Praxis tatsächlich verwendet wird, welche Aspekte daran Menschen intuitiv verstehen und gut finden, und welche vielleicht auch nicht. Dafür ist detailliertes Nutzerfeedback sehr wertvoll.

Mit Blick auf die noch recht jungen Large Language Models (LLMs) gibt es für die Nutzerforschung besonders viel zu entdecken. Denn seit die Künstliche Intelligenz dank ChatGPT ihren „iPhone-Moment“ erlebt hat, haben auch weniger technikaffine Menschen damit begonnen, KI im Alltag zu nutzen. Und wir fangen erst an zu verstehen, wie genau sie das eigentlich tun. So fällt zum Beispiel auf, dass sich bislang recht wenig eingespielte Routinen und Nutzungsmuster etabliert haben. Abseits einiger weniger Power User:innen, die sich in Fachforen und sozialen Medien über möglichst raffinierte Prompts austauschen, pflegt der Großteil der Nutzenden einen eher hemdsärmeligen Umgang mit den neuen Sprach-KIs: Man formuliert eine Frage oder einen Arbeitsauftrag und schaut mal, was passiert.

Rückmeldung macht Verbesserung möglich

Tatsächlich suggeriert das vertraute Chat-Interface, das uns aktuelle Sprachmodelle als Eingangstor anbieten, dass die Interaktion mit Künstlicher Intelligenz auch nicht schwieriger sei, als eine gewöhnliche SMS-Kommunikation. Die Kehrseite des niedrigschwelligen Zugangs ist, dass man nahezu vollständig darüber im Unklaren bleibt, wie eine Antwort zustande kommt oder was man tun kann, um sie zu beeinflussen. Wenn ein Sprachmodell nicht die gewünschten Ergebnisse liefert, ist die Ursache kaum zuzuordnen: Habe ich einen schlechten Prompt formuliert, fehlen dem Modell relevante Daten oder liegt es doch an der „Blödheit“ der KI?

Die Rückmeldungen, die uns zu Parla erreichen, zeigen, dass Menschen sehr unterschiedlich mit dieser Ungewissheit umgehen. Es gibt jene, die mit dem System arbeiten, tüfteln und experimentieren, bis sie gute Ergebnisse erzielen – und die in der Regel hellauf begeistert sind. Und jene, die nach einer ersten Frusterfahrung schnell abwinken und sich in ihren Vorurteilen bestätigt sehen („wie schon erwartet, absolut unbrauchbar“, schimpfte etwa ein anonymer User über unser Feedbackformular).

Man muss der Fairness halber sagen, dass die positiven Rückmeldungen deutlich überwiegen, es also auch in der Verwaltung eine hohe Bereitschaft zu geben scheint, sich mit der neuen Technik auseinanderzusetzen. Aber auch für den aufgeschlossenen Teil der Nutzerschaft gibt es noch viel zu lernen. Deshalb müssen wir in Zukunft nicht nur die KI-Tools weiterentwickeln, sondern auch die Kompetenzen aufbauen, sie richtig zu nutzen.

Wann KI helfen kann

KI-Kompetenz ist dabei weit mehr als nur die Fähigkeit, einen guten Prompt zu verfassen. Es geht vielmehr auch darum, richtig einzuschätzen, welche Tätigkeiten sich überhaupt für maschinelle Unterstützung anbieten (und welche auch nicht), Vor- und Nachteile pragmatisch gegeneinander abzuwägen und einen klaren Blick für Chancen und Risiken zu entwickeln. Und letztlich müssen nicht nur Individuen, sondern auch Organisationen sich die Frage stellen, ob sie „KI-ready“ sind, also zum Beispiel über ein vernünftiges Daten- und Informationsmanagement verfügen, das für KI-Modelle anschlussfähig ist.

Schlussendlich sind auch KI-Modelle schlicht Werkzeuge, die uns neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Wie bei allen Werkzeugen muss man lernen, wozu sie sich eignen und wie man sie richtig verwendet. Wer versucht, mit einem Löffel ein Brot zu schneiden und daran scheitert, kann daraus folgern, dass ein Löffel eine absolut unbrauchbare Erfindung ist, oder aber nochmal darüber nachdenken, ob Mittel und Zweck hier wirklich gut zusammenpassen. KI ist kein Wundermittel, aber richtig eingesetzt eben doch eine sehr vielseitige Ergänzung für den Besteckkasten der Verwaltung. Vorausgesetzt man ist bereit, sich darauf einzulassen.