Irgendwas mit Digitalisierung

Benjamin Seibel berichtet aus unserem Arbeitsalltag.

Von Benjamin Seibel

Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 02. November 2021 veröffentlicht.

Neulich klingelte im CityLAB Berlin das Telefon. Die Person am anderen Ende der Leitung hatte ein dringendes Problem. Das Internet sei „kaputt“, ob wir vielleicht helfen könnten? Nun muss ich dazu sagen, dass mir besagte Person gänzlich unbekannt war, Ich wusste nicht einmal, woher sie überhaupt unsere Telefonnummer hatte – die naheliegende Antwort „aus dem Internet“ kam ja offensichtlich nicht in Frage. Sie hingegen hatte gehört, dass bei uns „irgendwas mit Digitalisierung“ passiert, und da schien es naheliegend, sich mit ihrem Problem an uns zu wenden.

Seit rund zweieinhalb Jahren leite ich das CityLAB, ein öffentliches Innovationslabor im ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof. Mit einem rund 20-köpfigen Team und einer Vielzahl von Partnern beschäftigen wir uns dort mit der Frage, wie sich der digitale Wandel Berlins im Sinne des Gemeinwohls und der Stadtgesellschaft gestalten lässt. Oder anders gesagt: Wir machen „irgendwas mit Digitalisierung“, wenngleich obige Anekdote zeigt, dass unterschiedliche Menschen sich darunter sehr unterschiedliche Dinge vorstellen. 

Nach meinem Eindruck ist diese Unbestimmtheit für viele Innovationslabore Fluch und Segen zugleich. Da kaum jemand eine konkrete Vorstellung davon zu haben scheint, was in so einem Labor genau passiert, gibt es einerseits viele Freiheiten, neue Dinge auszuprobieren. Andererseits droht aber ohne klare Mission schnell die Gefahr, sich zu verzetteln und den notwendigen Fokus zu verlieren, da ja längst alles irgendwie mit Digitalisierung zu tun hat.

Eröffnung des CityLAB Berlin 2019 / Foto: Florian Reimann

Innovationslabore interpretieren ihre Rollen unterschiedlich

In den letzten Jahren sind in Deutschland zahlreiche Innovationslabore entstanden, die ihre Rolle jeweils sehr unterschiedlich interpretieren: Manche verstehen sich eher als Veranstaltungs- oder Workshopräume, andere machen Partizipations- oder Bildungsangebote, wieder andere funktionieren wie Co-Working-Spaces oder Inkubatoren für Start-ups. Eine solche Vielfalt ist zwar erstmal begrüßenswert, sie zeigt aber auch, wie undefiniert das Konzept „Innovationslabor“ nach wie vor ist. Mich erreichen inzwischen regelmäßig Anfragen aus anderen Städten und Kommunen, die beschlossen haben, ein Innovationslabor einzurichten, aber gerne erstmal verstehen würden, was das eigentlich ist (Ich freue mich übrigens immer sehr über solche Anrufe, also wenn Sie sich angesprochen fühlen, melden Sie sich gerne!).

Was also ist nun ein Innovationslabor und was tut es? Für unsere eigene Identitätsfindung als Team war es immer zentral, den Begriff des „Labors“ ernst zu nehmen. Labore sind Orte für Experimente. Wenn man von diesem Grundsatz ausgeht, eröffnet sich ein ungemein spannendes und erstaunlich unterbesetztes Tätigkeitsfeld, denn in Städten und insbesondere in der öffentlichen Verwaltung wird immer noch viel zu wenig experimentiert.

Der Duden beschreibt ein Experiment als erstens „Versuch, durch den etwas entdeckt, bestätigt oder gezeigt werden soll“, und zweitens als „Wagnis; gewagtes, unsicheres Unternehmen“. Experimentieren bedeutet also mit anderen Worten, dass man etwas herausfindet, was man vorher noch nicht wusste. Und zwar, in dem man es ausprobiert. Auch auf die Gefahr hin, dass es nicht so ausgeht wie erwartet. Man stellt eine Hypothese auf, die sich dann im Experiment als richtig oder falsch herausstellt. In beiden Fällen ist man hinterher klüger

Eröffnung des CityLAB Berlin 2019 / Foto: Florian Reimann

Experimente mit offenem Ende

Solche Experimente können bei uns ganz unterschiedliche Formen annehmen. Natürlich lässt sich zum Beispiel hervorragend mit digitalen Technologien experimentieren, einfach weil sie eine Vielzahl neuer Möglichkeiten eröffnen, die noch lange nicht alle erschlossen sind. Wir haben zum Beispiel aus offenen Daten des Berliner Baumkatasters eine Anwendung entwickelt, die Bürger:innen ein koordiniertes Gießen von Stadtbäumen ermöglicht. Manche hielten nicht viel von der Idee. Aber die App wurde ein Riesenerfolg. Ein anderes Mal haben wir eine Künstliche Intelligenz darauf trainiert, Stadtpläne zu analysieren und darauf aufbauend eigene Pläne anhand verschiedener Kriterien zu entwerfen. Wir wollten herausfinden, ob ein Algorithmus bestimmte strukturelle Mustererkennen kann, die zum Beispiel mit der Lebensqualität von Städten korrelieren. Die Ergebnisse sahen zwar lustig aus, waren aber sonst nicht sonderlich brauchbar. Es hätte auch umgekehrt laufen können.

Es lässt sich aber natürlich nicht nur mit Technik, sondern auch mit veränderten Prozessen oder neuen Formen der Zusammenarbeit experimentieren. Neulich haben wir ein kleines Projekt durchgeführt, bei dem wir Formulare und Anträge aus der öffentlichen Verwaltung neu entworfen und im direkten Austausch mit unterschiedlichen Bürger:innen getestet haben. Alles andere als High-Tech, aber ungemein aufschlussreich. Oder wir laden Verwaltungsbeschäftigte zu uns ein, um hierarchie- und ressortübergreifend zusammenzuarbeiten und dabei neue Methoden und Tools auszuprobieren. Auch das klappt nicht immer, aber immer öfter. Und wir lernen jedes Mal dazu.

Innovationen lassen sich nicht am Reißbrett planen, sie entstehen oft überraschend, aus einem konkreten praktischen Erleben heraus: Man probiert etwas aus, und es klappt vielleicht gar nicht so, wie es soll, aber dafür passiert irgendetwas anderes, an das man bislang noch gar nicht gedacht hatte, und das ist dann auch nicht schlecht oder sogar auf andere Weise viel besser. So etwas passiert nicht, solange man nur im Konjunktiv über Veränderung nachdenkt. Es braucht Räume, in denen man experimentieren kann, in denen Dinge gerade nicht nach Plan, sondern immer auch ganz anders laufen können. Wenn Innovationslabore solche Räume bieten, dann können sie, so denke ich, tatsächlich Veränderungsprozesse anstoßen und beflügeln.

Ach ja, und was den eingangs erwähnten Anruf betrifft: Ich war kurz davor, in klassischer Behördenmanier zu erklären, dass ich dafür nun wirklich „nicht zuständig“ sei, aber da die Verzweiflung auf der anderen Seite groß war, probierte ich es mit dem ältesten und nach wie vor bewährten IT-Support-Trick: „Haben Sie mal ausprobiert, den Router aus- und wieder einzuschalten?“ Tatsächlich war das auch schon die Lösung des Problems. Versuch macht klug.