Macht Platz! Hier kommt das Kiezlabor

Unsere Zeit in Marzahn-Hellersdorf 

Von Nora Eilers

Alice Salomon war eine bedeutende deutsche Sozialreformerin sowie eine Pionierin der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Sie hat es sich entsprechend redlich verdient, dass ein Platz im Herzen des Bezirks Marzahn-Hellersdorf nach ihr benannt wurde. Der Alice-Salomon-Platz ist Verkehrsknotenpunkt und Hochschulstandort, umgeben von Geschäften, Restaurants und öffentlichen Einrichtungen. Dementsprechend sollte er eigentlich ein lebendiges Zentrum städtischen Lebens und sozialer Interaktion sein.

Der Platz hat jedoch eine kleine Auffrischung nötig, die mittels eines anlaufenden Beteiligungsprozesses erfolgen soll. Das Förderprojekt “CaT – Campus Transferale der Alice-Salomon-Hochschule (ASH Berlin) hat sich unter anderem der Unterstützung dieses Prozesses verschrieben. Das vom Bund-Länder-Programm Innovative Hochschule geförderte Projekt hat das Ziel, den Wissensaustausch zwischen der Hochschule und der Nachbarschaft zu fördern, um einen Platz zu schaffen, der die Lebensqualität der Gemeinschaft steigert.

Im Rahmen des Projekts findet mit der Transferale jährlich ein Transfer-Festival statt, das den Dialog zwischen der Hochschule und der Nachbarschaft fördern soll. Das Jahr 2023 setzte den Startschuss. Und was könnte da ein besserer Konversationsstarter sein, als ein sechs Tonnen schwerer Schiffscontainer, der zu einem Tiny House umgebaut wurde? Unter dem Motto “Gemeinsam Stadt gestalten” brachen wir also für unseren finalen Standort dieses Jahr auf nach Marzahn-Hellersdorf. Zurückgekehrt sind wir mit einer ganzen Menge Highlights und Eindrücken, Gesprächen und Visionen für die Zukunft! Einige Erinnerungen wollen wir in dem folgenden Beitrag mit Euch teilen!

Zwischen Woolworth und Rathaus steht das Kiezlabor auf dem Alice-Salomon-Platz.
Mit einem wilden Programm, einer Menge Knete, Stiften und Papier, sowie dem Stadtvisionen-KI-Tool reisten wir nach Marzahn-Hellersdorf. Foto: Edgard Berendsen

Wir starten feierlich: Die Eröffnung der Transferale

Für unseren letzten Standort hatten wir großartige Unterstützung bei der Programmgestaltung durch Elène Misbach, Referentin für Transfer, Kooperationen und Third Mission der Alice-Salomon-Hochschule und Projektmitarbeiterin im Transfer_Hub – Campus Transferale, die gemeinsam mit dem Kiezlabor-Team die vielseitigen Veranstaltungen zusammengestellt, und uns in die Transferale und den laufenden Beteiligungsprozess zur Umgestaltung des Alice-Salomon-Platze eingebunden hat. Am Montag konnten wir gemeinsam die Eröffnung feiern, zusammen mit Teilen der Hochschulleitung, dem Migrationsrat Berlin sowie dem Bezirksstadtrat. Wir haben bei Elène Misbach nachgefragt, wie sie die Zusammenarbeit mit dem Kiezlabor-Team wahrgenommen hat:

Die Zusammenarbeit mit dem Kiezlabor-Team habe ich sehr genossen. Es war für mich beeindruckend, wie offen, freundlich, kompetent, gelassen, flexibel und mit wieviel Spaß alle im Team auch mit unvorhergesehenen Situationen umgegangen sind. Ich habe ganz viel vom Team gelernt im “einfach auf die Menschen zugehen”, quasi aufsuchende Arbeit im öffentlichen Raum zu machen. Sich einzulassen auf die Themen und Menschen vor Ort. Ich bin als Kooperationspartnerin (stellvertretend für das gesamte Transfer_Hub-Team) ganz selbstverständlich (temporäres) Teil des Teams geworden – was ja gar nicht so selbstverständlich ist. Ein wirklich tolles Team! Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.

Elène Misbach, Referentin für Transfer, Kooperationen und Third Mission der Alice-Salomon-Hochschule
Auf dem Alice-Salomon-Platz wird sich aus unterschiedlichen Stellen für einen lebendigen und klimagerechten Freiraum eingesetzt.
© Edgard Berendsen
Elène Misbach (ASH Berlin, Projekt Campus Transferale) hat uns die ganze Woche über tatkräftig zur Seite gestanden.
© Edgard Berendsen
Gestartet sind wir mit einer spannenden Paneldiskussion, bei der unterschiedliche Aktuere ihre Ideen für den Platz mit uns geteilt haben. © Edgard Berendsen

Wir snacken gegen Lebensmittelverschwendung 

Lebensmittelverschwendung in Großstädten wie Berlin ist ein weitverbreitetes Problem, das wertvolle Ressourcen vergeudet und negative Auswirkungen auf die Umwelt zur Folge hat. Trotz vieler Bemühungen zur Reduzierung bleibt das Problem eine Herausforderung für viele Haushalte, da verschiedene Faktoren wie Überproduktion, Packungsgrößen, ungenutzte Reste und die schnelle Verderblichkeit von Lebensmitteln zusammenspielen. Wir haben versucht, zusammen mit dem Bürgergarten Helle Oase, dem Problem auf eine möglichst kreative und nachhaltige Weise zu begegnen und haben gegen die Verschwendung angekocht! Anne Kruse, eine der Köchinnen aus dem Kiezlabor-Team, erzählt:

“Der Geruch der frisch zubereiteten Brotaufstriche aus geretteten Lebensmitteln lockt ganz unterschiedliche Menschen an. Viele Passant:innen bleiben kurz stehen, informieren sich beiläufig bei der Verbraucherzentrale über die richtige Lagerung von Lebensmitteln und probieren dann ein wenig von den leckeren Pasten, die vom Bürgergarten Helle Oase mit der lokalen Foodsharing-Gruppe frisch zubereitet wurden. Ältere Menschen teilen ihre Tipps gegen Lebensmittelverschwendung, einzelne Leute registrieren sich direkt auch für das Foodsharing!

Anne Kruse, Kiezlabor-Team
Es kann gekocht werden! Tipps und Tricks gegen Lebensmittelverschwendung inklusive.
Wir sind nicht nur satt, sondern auch schlauer geworden.

Auch Juliane Witt, Bezirksstadträtin für Soziales und Bürgerdienste, berichtet: “Gerade im städtischen Raum gibt es so viel Potenzial, um dem Thema der Lebensmittelverschwendung mit kreativen Mitteln entgegenzutreten. Ich bin hier zufällig am Kiezlabor vorbeikommen und freue mich, dass das Thema seinen Weg in die urbane Praxis findet.”

Gemeinsam Stadt gestalten – Was denkt Marzahn-Hellersdorf über den Alice-Salomon-Platz?

Welche Rolle kann ein offener, einladender Ort mit einem Prototyping- und Placemaking-Ansatz in einem Beteiligungsprozess spielen? Der Alice-Salomon-Platz soll umgestaltet werden, Aufenthaltsqualität gesteigert und Klimaresilienz gewährleistet werden – doch wie soll das aussehen? Was darf auf keinen Fall fehlen? Wir wollten vor Ort von den Menschen erfahren, was sie sich von ihrem Platz wünschen! Ausgerüstet waren wir mit einer riesigen LKW-Plane von Gruppe F, auf der der Alice-Salomon-Platz detailgetreu eingezeichnet war, unserem beliebten KI-Stadtvisionen-Tool, sowie modularen Möbeln und DIY-Materialien, die die Vorstellungen der Besucher:innen kurzzeitig zum Leben erwecken sollten. Carolin Clausnitzer leitete einen der Workshops vor Ort und war von der Kreativität der Teilnehmenden begeistert:

Anhand von verschiedenen Stationen konnten Anwohner:innen und Bürger:innen ihre Ideen für den Kiez zusammentragen. Ob mit Knete, einer Zeichnung, einem Foto oder einem Wort – je nachdem, in welchem Medium man sich gern ausdrücken wollte. Die Ergebnisse wurden anschließend auf der Plane, dem Platz, verortet. An der Knetstation entstand zum Beispiel eine Oase zum Verweilen mit Sonnensegel, Hängematte und einem kleinen Teich. An der Fotostation wurden neben einer Halfpipe ausgeschnittene Büsche und Bäume ins Bild gehalten. Die Bürger:innen wünschen sich eindeutig mehr Grün auf dem Alice-Salomon-Platz. Auf der Karte fanden sich aber auch Wünsche für ein Revival des Erntefestes und unterschiedliche Märkte und Treffpunkte. Es wäre schön, wenn verschiedene Bedürfnisse und entsprechende Umsetzungen in einem Konzept für den Platz zusammengeführt werden könnten.

Carolin Clausnitzer, Kiezlabor-Team
Die Plane liegt bereit für die Wünsche und Ideen der Besucher:innen. © Edgard Berendsen
Im Verlauf der Woche kommen immer mehr Visionen für den Platz zusammen. © Edgard Berendsen
Die unterschiedlichsten Materialien kommen beim Kiezlabor zum Einsatz. © Edgard Berendsen
Mehr Bäume, ein kleiner Bach oder eine komplett begrünte Fassade – mit Hilfe bildgenerativer künstlicher Intelligenz ist (fast) alles möglich! © Edgard Berendsen

Henriette Närger aus dem Kiezlabor-Team hat sich viele Wünsche angehört und erzählt: “Das Kiezlabor hat es geschafft, über ein paar Tage hinweg einen Ort zu erschaffen, an dem sich die Menschen treffen, hinsetzen und austauschen. Viele sind zunächst frustriert und hoffnungslos, was die Zukunft des Platzes betrifft, haben aber viele Vorschläge, wie eine konkrete Veränderung aussehen sollte: mehr Raum für Zusammenkunft und eine attraktive Gestaltung, Veranstaltungen wie ein Wochenmarkt, Grün- und Wasserflächen, Sitzmöglichkeiten sind nur einige davon.”

Henriette: „Auch viele Kinder kamen vorbei, um zu verweilen, zu spielen, aber auch um eigene Anekdoten und Wünsche zu dem Platz mitzuteilen.“

Das Kiezlabor – Für Alt und Jung 

Auch das Seniorennetz der AWO war wieder zu Gast im Kiezlabor und brachte sein Angebot älteren Menschen näher. Erst erreichten uns nur neugierige Blicke, doch bald versammelten sich einige Senior:innen vor Ort, die daraufhin bei Blechkuchen von der benachbarten Bäckerei und warmem Kaffee über die Online-Angebote der Plattform informiert wurden. Auch die technischen Lösungen für eine altersgerechte Wohnung des Kompetenzzentrums Pflege 4.0 fanden neugierige Ohren. Markus Sperl aus dem Kiezlabor-Team kam, trotz des regnerischen Oktobertages, mit den Menschen ins Gespräch:

Das Thema Umgestaltung des Alice-Salomon-Platzes ist auch eines, welches gerade die seit Jahrzehnten Eingesessenen interessiert. Sie haben so viele Veränderungen, die an ihnen vorbeientschieden wurden, mitbekommen, dass es Ihnen teils schwerfällt, den Beteiligungsgedanken ernstzunehmen. Geduldig bleibend, kitzelt man aber doch nützliche Hinweise auf eine altersgerechte Platzgestaltung heraus – sei es nur das Vorhandensein von Sitzmöbeln mit Lehne.

Markus Sperl, Kiezlabor-Team
In einem Punkt sind sich alle einig: Es muss sich etwas ändern auf dem Alice-Salomon-Platz. © Edgard Berendsen
Hier war es noch sonnig. Aber auch bei Regen sind viele Gespräche zustande gekommen. © Edgard Berendsen

Sonne und Balkon – Vor dem Winterschlaf wird noch einmal richtig Sonne getankt

Samstag! Nach einem grauen Start in den Tag lichtete sich der Nebel und blauer Himmel und Sonnenschein sorgten für eine angemessene Verabschiedung des Kiezlabors in den Winterschlaf. Der letzte Tag war sichtlich belebter als die vorigen Schlechtwettertage. Migrantas e.V. bauten eine Station auf, an der Anwohner:innen sich an der Gestaltung eines Kunstwerks für den Alice-Salomon-Platz beteiligen konnten. Es gab die Möglichkeit, Symbole und Icons auszuwählen, die die Nachbarschaft und deren Bewohner:innen bestmöglich repräsentieren. Nach der Auswahl konnte man das Symbol auch auf einem Jutebeutel gedruckt anmalen, oder direkt mit nach Hause nehmen. Zum Nachmittag hin startete die letzte Veranstaltung der Woche: Plan B war zu Gast und feierte mit uns Antragsparty für Balkonkraftwerke. Sie brachten einen echten Balkon mit Solaranlagen mit, Heimsolar-Expertise sowie eine interessierte Gruppe an Gästen, die an zwei Tischen gemeinsam mit Plan-B-Vertreter:innen durch das Antragsformular geführt wurden.

Die Vision von PLAN B: Sie setzen sich für ein sicheres, soziales und klimaneutrales Berlin bis 2030 ein.
Die Aktion für schnelle Installation von Balkonkraftwerken findet viele Mitstreiter:innen. © Philipp Czampiel
Das Kiezlabor konnte sich über einen besuchsreichen Abschiedstag freuen. © Philipp Czampiel

Mit einsetzender Dämmerung verabschiedeten sich die letzten Gäste und das Kiezlabor-Team startete müde, aber glücklich in den letzten Abbau für dieses Jahr. Kisten wurden gestapelt, Kleinteile verstaut und der Transporter befüllt. Elène Misbach packte ebenfalls mit an und fasste abschließend ihr Highlight der Woche zusammen:

„Insgesamt war für mich die Offenheit und die Neugier der Menschen vor Ort DAS Highlight schlechthin. Viele schöne Begegnungen und Gespräche sind entstanden. Besonders hat mir gefallen, dass es eine Gruppe Jugendlicher gab, die jeden Tag mit ihren Rädern und Rollern vorbeikamen und Limoschlürfend mitgemacht, ganz viel gefragt und zwischendurch ihre Kreise und Runden gezogen haben.  Etwas euphorisch kann man fast sagen: Das Kiezlabor hat die Peripherie ins Zentrum gerückt bzw. das Zentrum in die Peripherie geholt. To be continued …”

Elène Misbach
Wir packen zusammen und können noch gar nicht glauben, wie schnell die ersten Monate mit unserem Kiezlabor verflogen sind.
© Philipp Czampiel
Selbst Profis brauchen für den Abbau noch immer mindestens 40 Minuten! © Philipp Czampiel

Ab zurück nach Tempelhof, bis zum nächsten Mal, Marzahn-Hellersdorf! Es war uns ein Fest! Besonderer Dank gilt der großartigen Unterstützung der ASH und dem freudigen Empfang der Anwohner:innen. Wir sind schon ganz gespannt, wo uns die Kiezlabor-Tour 2024 hinführen wird! Jetzt heißt es für unser Kiezlabor-Team, das Jahr Revue passieren zu lassen und unser Tiny House für den nächsten Saisonstart ordentlich aufzumöbeln!