Innovationstreiber Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg – wie die Nutzendenperspektive Dienstleistungen verbessern kann

Von Pia Gralki – 28. August 2023

Der Erstkontakt mit dem Jobcenter ist für viele Menschen mit Unsicherheiten verbunden: Habe ich alle relevanten Formulare und Belege dabei? Habe ich die Formulare richtig ausgefüllt? Bin ich noch innerhalb der Frist für die Anmeldung? Wird mir auch in einer Notlage geholfen? All diese Fragen gilt es für die Mitarbeitenden im Jobcenter zu antizipieren und entsprechende Hilfestellungen bereitzustellen. Doch auch auf Seiten der Angestellten gibt es Hürden bei der Bearbeitung von Erstanträgen, die einer effizienten und bürger:innenfreundlichen Dienstleistung entgegenwirken. 

Gemeinsam mit dem Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg wollten wir den Prozess dahinter verstehen und erkunden, wie sich dieser sowohl für Neukund:innen als auch für Mitarbeitende verbessern ließe. Dafür haben wir 2022 zusammen ein Projekt gestartet und die Beschäftigten in mehreren Phasen dabei begleitet, herauszufinden, welche Aspekte rund um die Bearbeitung von Erstanträgen sie gerne ändern und welche sie gerne beibehalten möchten.

Um bei den Dienstleistungen die Nutzendenperspektive einnehmen zu können, haben wir Methoden aus dem Service Design angewendet, wie das sogenannte User Journey Mapping und das Shadowing. Service Design ist eine Disziplin, die sich u.a. mit der Gestaltung von Dienstleistungen und dem Nutzer:innenerlebnis befasst. Sie nutzt dafür konkrete Herangehensweisen und Methoden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ziel ist es, Prozesse, Dienstleistungen und Nutzer:innenerlebnisse ganzheitlich zu betrachten und zu gestalten. Falls du mehr zum Thema Service Design erfahren möchtest erkunde unseren Wissensspeicher

Die Zielsetzung: Was soll konkret verbessert werden?

Zueinander fanden das Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und wir bei einer unserer Roadshows, bei der wir auf Anfrage persönlich in den jeweiligen Behörden vorbeischauen, unsere Arbeit am CityLAB vorstellen und über konkrete Vorhaben der Verwaltung in den Austausch kommen. Dieses Angebot hat sogleich bei den Mitarbeiter:innen gefunkt, darunter Surani Loibl:

“Wir haben uns bei der Fülle an Problemen rund um die Kommunikation beim Jobcenter etwas verloren gefühlt, da kam uns die Roadshow des CityLAB sehr gelegen! Dieses Angebot schien so unkompliziert, unbürokratisch und damit genau das Richtige für uns, denn wir waren auf der Suche nach innovativen Ansätzen und Workshops, wollten dafür jedoch keine langen Anträge schreiben oder viele Schleifen über zahlreiche Mitzeichnende drehen.”

Surani Loibl, Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Ulrike Spieler treibt Surani Loibl das Thema interne sowie externe Kommunikation beim Jobcenter bereits länger um. Beide sind Teil der sogenannten Schreibwerkstatt, einer kreativen und interdisziplinär besetzten Projektgruppe, deren Mitglieder neben ihren eigentlichen Aufgaben das Jobcenter bürger:innenfreundlicher, transparenter machen und entstauben möchte. “Uns treibt die Kommunikation nach außen und die Bürger:innennähe an. Aber wir denken bei Kommunikationsverbesserung natürlich auch an uns. Denn bessere – interne wie externe – Kommunikation verschafft unserer Verwaltung mehr Resilienz. Gerade vor dem Hintergrund des auch uns betreffenden Fachkräftemangels ist diese essentiell!”, so Ulrike Spieler.

Durch das Format der Schreibwerkstatt findet bereits eine interne Sensibilisierung für die Hürden statt, die die Abläufe im Arbeitsalltag verlangsamen, wie komplexe Vorgaben von Verwaltungsschreiben, die behördliche Fachsprache, interne Hierarchien sowie der nötige interne Kulturwandel, berichteten unsere Ansprechpartner:innen für das Projekt, Surani Loibl und Ulrike Spieler. Die Zielsetzung für das Projekt war daher schnell gefunden:

Wir haben uns erhofft, gute Anstöße für Kommunikationswege zu bekommen. Denn so können wir am Ende nicht nur bürger:innenfreundlicher werden – sondern Prozesse so optimieren, dass sie für alle Beteiligten – Bürger:innen und Mitarbeitende – möglichst transparent und schnell sind. Eine große Herausforderung für Behörden! Über den innovativen Ansatz des CityLABs wollten wir daher gerne mehr erfahren.

Ulrike Spieler, Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg

Umsetzung: User Journey, Shadowing und Methodentraining

Gesagt, getan: Um das Jobcenter bei diesem Vorhaben zu unterstützen, haben wir einige unserer Methoden zur Hand genommen! Ein zentraler Schritt dabei war die Analyse der User Journey – also der Berührungspunkte (digital und analog), die Menschen mit dem Jobcenter haben, wenn sie beispielsweise als Neukund:innen Bürgergeld beantragen wollen. Hier haben wir uns gemeinsam mit den Mitarbeitenden jede einzelne Station ganz genau angeguckt – von der ersten Kontaktaufnahme bis hin zur persönlichen Betreuung und nachfolgenden Kommunikation zum Antrag.

Dieser Prozess hielt auch für die Mitarbeitenden einige Herausforderungen bereit, erinnert sich unsere Projektpartnerin Surani Loibl: 

“Es war sehr herausfordernd, die komplexen Prozesse in unserer Verwaltung in nur einer User Journey darzustellen – und natürlich war das letztendlich auch einer der größten Aha-Effekte. Denn jemandem von außen unsere Verwaltung zu erklären, ist echt schwer. Uns war vorher nicht so bewusst, wie viele Verordnungen, Gesetze, Prozesse, Quellen, verantwortliche Behörden und, und, und hier ineinander- und manchmal auch gegeneinander greifen. So ein Schwergewicht wie unsere Behörde einem ‚leichtfüßigen’ Partner wie dem CityLAB begreifbar zu machen – das ist nicht ohne!”

Surani Loib, Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
So sah die Erstellung der User Journey für das Jobcenter aus. Dabei betrachteten wir insbesondere, welche Emotionen Mitarbeitende und Neukund:innen bei jedem Schritt im Prozess erleben.

Ein Schmerzpunkt der Mitarbeiter:innen war unter anderem die hohe No-Show-Rate der geladenen Bürger:innen. So erscheinen pro Tag bis zu 50 Prozent nicht zum gebuchten Termin. Die Gründe dafür können vielfältig sein: Von der unklaren Erwartungshaltung gegenüber dem persönlichen Beratungsgespräch bis hin zur Herausforderung, eine intuitive Terminabsagemöglichkeit anzubieten. Hier fehlt dem Jobcenter aktuell das Wissen, um das hohe Nichterscheinen von eingeladenen Bürger:innen einschätzen zu können. Eine Umfrage nach den Gründen bei den Bürger:innen sowie ein transparenter Ablauf dieser Gespräche könnten dabei helfen, diesen blinden Fleck zu füllen.

Die User Journey lieferte bereits interessante Hypothesen für die Verbesserung des Prozesses, die wir bei einem Shadowing überprüfen wollten. Bei dieser Methode schauen wir den Mitarbeitenden wortwörtlich bei ihrem Alltag über die Schulter. Wie läuft die Beratung am Empfang ab? Wie gestaltet sich die Beratung zu Förderung und Arbeitsvermittlung und das Anlegen eines Kund:innenprofils? Mit welchen Fragen kommen Bürger:innen zum Ersttermin? Welche Rolle spielt der digitale Antrag im Prozess? Wie wird mit Sprach- und kulturellen Barrieren umgegangen? Bei all diesen Momenten im Prozess haben mehrere CityLAB-Kolleg:innen vor Ort Beobachtungen dokumentiert und mit den Mitarbeiter:innen besprochen sowie auch bei Bürger:innen nachgehakt. 

Edmundo Galindo, Service Designer beim CityLAB, erklärt, dass Shadowing eine Methode ist, um Prozesse und Services aus der Perspektive der beteiligten Verwaltungsmitarbeitenden und Nutzenden zu beobachten, ohne dabei einzugreifen.

Wir hatten das Ziel, Erkenntnisse über den Arbeitsalltag im Neukund:innenmanagement und auftretende Herausforderungen zu gewinnen. Es wurde untersucht, welche Tätigkeiten reibungslos funktionieren und wo Verbesserungsbedarf besteht. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen uns als Grundlage für konkrete Verbesserungsvorschläge, z. B. in Bezug auf Dienstleistungsorientierung, Freundlichkeit, Mehrsprachigkeit, klare Amtssprache und Online-Antragstellung. Wir haben auch Aspekte der physischen Umgebung beleuchtet, wie die Modernisierung der technischen Ausstattung und die Schaffung einer einladenden Atmosphäre. Shadowing ist ein wertvolles Instrument, um gezielte Maßnahmen zur Optimierung von Services und Arbeitsabläufen abzuleiten.”

Edmundo Galindo, CityLAB Berlin
Beim Shadowing haben wir uns auch die Räumlichkeiten und das Leitsystem genau angeguckt.

“Während wir die Methoden durchgeführt haben, war es unser Anliegen, Wissenstransfer in Richtung Jobcenter zu schaffen, um solche Prozesse zu analysieren und Lösungen zu entwerfen. Das Ziel ist, dass unsere Beispiele inspirieren und so einfach anzuwenden sind, dass das Jobcenter auf das Gelernte zurückgreifen und eigenständig anwenden kann”, sagt Anja Lüttmann, Smart City Designerin beim City LAB.

Erkenntnisse und Ausblick: So geht es weiter

Aus all diesen Beobachtungen ist ein Abschlusspapier mit Empfehlungen entstanden, die nun in die Neugestaltung des Prozesses rund um den Erstkontakt mit dem Jobcenter einfließen. Surani Loibl als Schreibwerkstatt-Koordinatorin resümiert: “Wir wollen unsere Arbeit verfestigen. Dabei können wir definitiv gut auf den gelernten Methoden aufbauen. Und wir wollen ein paar ‚Leuchttürme’ in unserem Haus launchen. Eine gut formulierte Einladung, verständliche ‚Fahrpläne’ für Erstantragstellende, damit sie wissen, was sie erwartet und was wir für die Zusammenarbeit und Bearbeitung brauchen.

Zudem sei das große Ziel, die Sicht der Bürger:innen und der Mitarbeitenden immer mitzudenken, ohne sie gegeneinander auszuspielen und so “eine Win-win-Situation zu schaffen: Die Bürger:innen kommen schneller an die ihnen zustehenden Leistungen – ob finanzieller, beraterischer, fördernder Natur. Und die Mitarbeitenden können schneller und vertrauensvoller, ohne viele Schleifen, arbeiten. Zusammengefasst ist das Ziel also, den Kulturwandel zur verständlichen Kommunikation weiter voranzutreiben„, so Loibl.

“Die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter hat uns großen Spaß gemacht und wir haben uns gefreut, die große Bereitschaft zur Innovation aus einer Behörde heraus zu sehen”, erklärt Anja Lüttmann. Die Nutzenden an erste Stelle bei der Entwicklung von Services zu stellen, ist für viele Verwaltungen noch ungewohnt. Die Vermittlung von methodischem Wissen ist ein wichtiger Schritt hin zu einem größeren Kulturwandel in der Verwaltung und schlussendlich besseren Interaktionen zwischen Bürger:innen und Mitarbeitenden.

Auf unsere Frage hin, wie sie sich das Jobcenter der Zukunft vorstellen, hatte die Schreibwerkstatt gleich drei konkrete Visionen: 

  1. Niemand muss länger als eine Woche auf den Bescheid warten, ob und wie viel Bürgergeld gezahlt wird. (Eine Brücke auf dem Weg dahin kann bessere Kommunikation sein.)
  2. Die Menschen wissen, was das Jobcenter von ihnen will. Sie sehen das Jobcenter als unterstützende Einrichtung, die fester Bestandteil  im Bezirk ist. Bürger:innen treffen auf eine offene, zugängliche, einladende Behörde – räumlich, kommunikativ und durch die Haltung der Mitarbeitenden.
  3. Erstantragstellende kennen jederzeit den Stand der Dinge – Bearbeitungsstand des Antrags, Fahrplan für Beratung und Förderung usw. Sie werden bei allen Prozessen durch gute Kommunikation und Information – visuell und verbal – mitgenommen und können alles jederzeit einsehen. So fühlen sich Bürger:innen dem Amt nicht ausgeliefert, sondern gleichwertig.

Diesen Visionen können wir uns nur anschließen und hoffen, mit unserem gemeinsamen Projekt einen Teil dazu beigetragen zu haben. Wir wünschen unseren Projektpartner:innen weiterhin viel Erfolg bei der Umsetzung und freuen uns darauf, zu sehen, welche Verbesserungen in Zukunft vorgenommen werden – zum Wohle der Mitarbeitenden sowie aller Bürger:innen, die die Dienste des Jobcenters in Anspruch nehmen.