Mehr als nur digital: Das Bürgeramt der Zukunft

Von Benjamin Seibel

Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 04.10.2022 veröffentlicht.

Endlich mal wieder positive Nachrichten aus der Welt der Verwaltungsdigitalisierung: Wie der Tagesspiegel kürzlich berichtete, soll es in Berlin ab Frühjahr 2023 möglich werden, den eigenen Wohnsitz online an- und umzumelden. Was sich für Außenstehende erstmal unspektakulär anhören mag, könnte tatsächlich der lang erhoffte Befreiungsschlag für die von chronischem Personalmangel geplagten Berliner Bürgerämter werden. Fast ein Fünftel aller dort in Anspruch genommenen Termine, rund 500.000 im Jahr, betreffen nämlich bislang die Leistung „Anmeldung einer Wohnung“.

Wenn diese Termine zukünftig nicht mehr in Präsenz stattfinden müssen, dürfte die Berliner Landesregierung ihrem erklärten Ziel, den Terminstau der Bürgerämter abzubauen, einen gewaltigen Schritt näherkommen. Gleichwohl scheint es mir vorschnell, wenn es im genannten Artikel heißt: „500.000 Vorgänge jährlich werden in den Bürgerämtern gespart.“ Eigentlich müsste man sagen: „…könnten theoretisch gespart werden, wenn alle Bürger:innen von dem Angebot Gebrauch machen.“ Das ist nach aktuellem Stand noch ein ziemlich großes „Wenn“.

Forschung zum Bürgeramt der Zukunft

Seit Anfang des Jahres entwickeln wir in einem Forschungsprojekt mit dem Ausbildungsbürgeramt in Berlin-Kreuzberg Ideen zu einem „Bürgeramt der Zukunft.“ Gemeinsam mit Beschäftigten, Kund:innen und der Amtsleitung schauen wir uns die Abläufe und den Arbeitsalltag vor Ort an und überlegen, was man besser machen könnte. Die Digitalisierung spielt dabei eine wichtige Rolle, aber ebenso zeigt sich, dass das Amt als physischer Ort mit Besucherverkehr auch in Zukunft wichtig bleiben wird.

Aus den Gesprächen und Beobachtungen im Bürgeramt konnten wir viele spannende Einsichten gewinnen, zum Beispiel diese: Eine der vor Ort am häufigsten nachgefragten Leistungen ist die Beantragung eines Führungszeugnisses. Diese Leistung lässt sich seit geraumer Zeit auch online erledigen, aber trotzdem kommen die Leute deshalb reihenweise zum Amt. Mit allen Strapazen – Terminfindung, Anreise, Wartezeit vor Ort –, die damit einhergehen.

Die Beweggründe dafür sind unterschiedlich und verraten viel darüber, dass es auch in Zukunft nicht die eine perfekte Lösung für alle Bürger:innen geben wird. Nicht wenige Menschen wissen zum Beispiel gar nichts von der Möglichkeit der Online-Beantragung. Andere finden das Online-Formular zu kompliziert oder haben Sorgen, etwas falsch zu machen. Wieder andere haben gar keinen Computer oder bevorzugen aus anderen Gründen, etwa weil sie noch Nachfragen haben, den persönlichen Kontakt.

Bloße Existenz der Online-Leistung reicht nicht

Die bloße Tatsache, dass eine Leistung des Bürgeramtes auch online angeboten wird, reicht also offenbar nicht aus, damit die Menschen dieses Angebot auch in Anspruch nehmen. Das könnte damit zu tun haben, dass sich die Bundesländer im Zuge des Onlinezugangsgesetzes zwar mehr oder weniger erfolgreich darum gekümmert haben, dass bestimmte Verwaltungsleistungen auch online angeboten werden. Sie haben sich aber selten mit der Frage befasst, wie diese Angebote gestaltet sein müssen, damit sie auch wirklich breit genutzt werden.

Das beginnt mit der Auffindbarkeit. Lässt sich das Angebot über einschlägige Suchmaschinen leicht finden oder versteckt es sich auf der untersten Hierarchieebene einer verschachtelten Verwaltungswebsite? Werde ich, wenn ich einen Termin beim Bürgeramt buche, aktiv darauf hingewiesen, dass die Leistung auch online erledigt werden kann oder bleibt diese Information den wenigen Eingeweihten vorbehalten? Wird die Möglichkeit der Online-Nutzung vielleicht sogar aktiv in der Öffentlichkeit beworben, um auch jene zu erreichen, die nicht aktiv danach suchen?

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Frage, wie einfach die Online-Leistung dann auch tatsächlich zu nutzen ist. Schließlich hat man vor dem heimischen Rechner oder Handy anders als im Amt keine kompetente Ansprechperson vor sich sitzen, die einen durch den Prozess führt. Entsprechend sollte der ganze Vorgang unkompliziert und selbsterklärend sein, und zwar auch für all jene die nicht Verwaltungsrecht studiert haben. Und in Berlin zum Beispiel auch für die nicht unbeträchtliche Zahl an Menschen, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben.

User Experience macht einen Unterschied

Die nutzerfreundliche Gestaltung von Online-Leistungen, also die sogenannte “User Experience“ (UX), wird im öffentlichen Dienst leider immer noch eher stiefmütterlich behandelt. Anders als in der Privatwirtschaft gibt es in der deutschen Verwaltung bisher so gut wie keine designierten Stellen für UX-Design. Dabei geht es hier nicht um kosmetische Verbesserungen, sondern um einen messbaren Unterschied. In einem klassischen Beispiel der UX-Forschung konnte etwa die Fluglinie United Airlines die Zahl der Online-Buchungen um mehr als 200% steigern, nach dem der Prozess vereinfacht und übersichtlicher gestaltet wurde. Wieso sollte das bei den notorisch sperrigen Verwaltungsleistungen anders sein?

Die Einführung der Online-Wohnungsanmeldung hat in meinen Augen echtes Potenzial, ein „Killer Feature“ zu werden, also eine Leistung, die maßgeblich dazu beiträgt, die digitale Verwaltung in die Fläche zu bringen. Vorausgesetzt es gelingt uns, sie wirklich nutzerfreundlich zu gestalten. Denn am Ende stimmen die Bürger:innen buchstäblich mit den Füßen ab. Nur wenn die digitalen Angebote tatsächlich oft und gerne genutzt werden, kommt es auch zu spürbaren Entlastungen bei den Ämtern. Die so freiwerdenden Ressourcen ließen sich dann nutzen, um auch jenen Menschen, die nach wie vor lieber persönlich zum Amt kommen, eine bessere Erfahrung zu bieten. Auch darin lohnt es sich zu investieren: In eine moderne Ausstattung, in flexibleres Terminmanagement und natürlich in qualifiziertes Personal. Denn trotz aller digitalen Verbesserungen werden viele Menschen auch weiterhin die persönliche Interaktion bevorzugen, und das ist ja auch völlig okay. In unserem Forschungsprojekt ist gemeinsam mit den Beschäftigten das passende Leitbild dafür entstanden. Es lautet schlicht: „Wer das Bürgeramt verlässt, hat ein Lächeln auf dem Gesicht“.