Verwaltung neu denken: Digitalisierung und Vielfalt im Fokus

Fünf Fragen an Zehra Öztürk zu den Potenzialen von MODUL-F, der Förderung von Vielfalt und den Herausforderungen der Verwaltungsdigitalisierung.

Von Nora Eilers und Pia Gralki – 25. September 2024

„Wie kann die Verwaltung die Interessen unserer vielfältigen Gesellschaft gut vertreten, wenn sie selbst nicht deren Abbild ist – vor allem auf der Führungsebene?“ Diese Frage diskutierten kürzlich unser Direktor Dr. Benjamin Seibel und Zehra Öztürk, Leiterin diverser Projekte wie MODUL-F und Deputy Head of Software Strategy and New Technologies der Senatskanzlei Hamburg.

MODUL-F, eine Low-Code/No-Code-Plattform, treibt die Digitalisierung der deutschen Verwaltung voran, besonders in Bereichen, in denen bisher keine passenden Lösungen existierten. Mit flexiblen, vorprogrammierten Bausteinen können Verwaltungsprozesse schnell und ohne Programmierkenntnisse digitalisiert werden. Doch neben den technischen Lösungen ging es im Gespräch auch um die gesellschaftliche Komponente: Wie kann eine moderne Verwaltung diverser werden? Welche Potenziale bietet die Digitalisierung für eine effizientere und inklusivere Verwaltung? Und was muss getan werden, um Führungskräfte mit Migrationshintergrund besser zu fördern?

Wir haben Zehra Öztürk fünf Fragen dazu gestellt, wie sie die Zukunft der Verwaltung sieht und welche Schritte jetzt nötig sind, um echte Veränderung zu bewirken. Viel Spaß beim Lesen!

Zehra Öztürk, Projektmanagerin bei MODUL-F und Head of AI in der Senatskanzlei Hamburg.

Liebe Zehra, welche Haupterkenntnis hast Du aus der Veröffentlichung von MODUL-F gewonnen, wenn es darum geht, die Verwaltung für Veränderungen zu gewinnen?

Zehra: „Sei die Veränderung und warte nicht darauf, dass andere dir einen Weg aufzeigen. Das ist meine Erkenntnis, wenn es um die Umsetzung geht. Zur Verbreitung der Lösung wäre es eher: Verwaltung benötigt sehr viel Zeit und man muss geduldig sein, wenn man vorankommen will. Das ist gar nicht so einfach, da Verwaltung leider dazu neigt, ein Amphibienfahrzeug zu Kosten eines Schlauchbootes zu wollen, wenn das, was sie brauchen in Wirklichkeit ein Lastenrad ist. Und MODUL-F ist eben „nur“ ein Lastenrad für den niedrigschwelligen Transport kleiner bis mittelgroßer Bedarfe.“  

Wo siehst Du die größten Potenziale und wo mögliche Risiken beim Einsatz von Low-Code-Plattformen in der Verwaltung? 

Zehra: „Low Code Plattformen schreien geradezu Effizienz. Ich habe die Chance, auf Basis der vorgefertigten Elemente schneller, effektiver und kostengünstiger Lösungen zu schaffen. Und die Elemente sind sogar wiederverwendbar. Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Je komplexere Lösungen ich machen will, desto weniger effizient ist auch eine Low Code Plattform, weil ich mit den vorgefertigten Elementen nicht mehr auskomme bzw. diese stark anpassen muss. Außerdem ist nicht Plattform gleich Plattform. Man sollte immer erst schauen, was die Herausforderungen sind und danach, womit man diese umsetzt. Es gibt diverse Plattformen für unterschiedliche Zielsetzungen, auch wenn sie alle das Attribut „Low Code“ tragen.

Probleme erstmal verstehen lernen, bevor man ein neues Produkt als Heilsbringer sucht: Dieses Bewusstsein fehlt oft in der Verwaltung. Wie gehst Du mit Deinem Referatsteam vor, um diesen Prozess des Problemverständnisses in der Verwaltung zu fördern?  

Zehra: „Wir vermeiden bei uns Themensilos, indem wir mit einem „Eingangstor“ arbeiten. Was bedeutet das: Egal, wo ein Bedarf bei uns im Referat ankommt, wird es im „Eingangstor“ festgehalten und eine Schnellanalyse des Bedarfs wird vorgenommen. Wenn Problem und Prozess unklar sind, nimmt sich unser Projekt HELP dessen an, bei dem Prozesse lösungsneutral betrachtet und passgenaue Lösungs- bzw. Optimierungsvorschläge gemacht werden. Ist anhand bestimmter Kriterien bereits erkennbar, womit eine Umsetzung möglich wäre (z.B. Robotic Process Automation), geht es direkt an das jeweilige Team. Darüberhinaus sind wird teamübergreifend zu unseren Lösungen aussagefähig und schauen regelmäßig gemeinsam in die laufenden Bedarfe im Eingangstor. 

Welche Projekte wir haben und was sich hinter den Kürzeln verbirgt, kann man hier nachlesen: Digitale Stadt Hamburg – Digitalisierung der Verwaltung.“

Was kann die Verwaltung tun, um einen Beitrag zur Förderung von Führungskräften mit Migrationsgeschichte zu leisten – und wo liegen hier klare Chancen für die Zukunft der Verwaltung? 

Zehra:Ein Viertel der deutschen Bevölkerung hat Migrationsgeschichte. In Verwaltung arbeiten jedoch nur 16%. Wir wissen, dass wir in den nächsten Jahren einen hohen Fachkräftemangel haben werden. Und wir nutzen einfach nicht dieses vorhandene Potential aus, Menschen mit Migrationsgeschichte in Verwaltung zu holen. Aus meiner Sicht kann Verwaltung also folgendes tun: 

  • Sensibilisieren von Führungskräften und personalverantwortenden Stellen zu diesem Thema,
  • bei Ausschreibungen auf Formulierungen achten und diese ansprechend für Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte gestalten,
  • beim Einstellungsprozess das Gremium möglichst divers besetzen, um nicht in die Falle zu tappen immer nach gleichem Schema einzustellen,
  • Allies fördern, die Menschen mit Migrationsgeschichte unterstützen und zur Weiterentwicklung ermutigen
  • und Menschen mit Migrationsgeschichte im Unternehmen sichtbar machen z.B. im Rahmen von Corporate Influencer Programmen.“

Welche Meilensteine wünscht Du Dir für Digitalisierung der Verwaltung in den kommenden fünf Jahren? 

Zehra: „Erstens, die Einführung einer einheitlichen digitalen Identität mit ersten Once-Only erfolgen. Zweitens, die Umsetzung bei neuen Verwaltungsleistungen oder Änderungen von diesen immer nur noch Ende-zu-Ende betrachtet. Dabei sollte die Bürger:innenschnittstelle im Sinne der Nutzendenzentrierung gleich sein (EfA). Die interne Bearbeitung sollte auch einem harmonisierten Prozess folgen, auch wenn die Lösungen dafür unterschiedlich sein können. Idealerweise haben wir aber auch hier nur wenige Lösungen, die ebenfalls zur Nachnutzung angeboten werden. Und drittens, erste erfolgreiche Beispiele für proaktive Verwaltungsleistungen.“

Danke, liebe Zehra, für deine spannenden Einblicke und die offenen Worte! Du hast uns gezeigt, wie entscheidend es ist, Verwaltung neu zu denken – mit kreativen, digitalen Lösungen wie MODUL-F und einem klaren Fokus auf Effizienz und Problemverständnis.

Wenn Ihr mehr über diese Themen hören möchtet, empfehlen wir Euch unsere Podcastfolge mit Zehra Öztürk, in der wir noch tiefer in die Digitalisierung der Verwaltung eintauchen. Viel Spaß beim Zuhören!

Weitere Beiträge aus dieser Reihe: