Vier Städte, viele Bäume, eine Leidenschaft: Gieß den Kiez!

Von Julia Zimmermann

Nach der Jahrhundertdürre im vergangenen Jahr sind die Folgen der Klimakrise in den Städten für uns alle spürbar geworden. Besonders sichtbar werden die Auswirkungen mit einem Blick auf unsere grüne Infrastruktur: Parkanlagen sind im Sommer eher gelb als grün und die Baumkronen so mancher Bäume wirken löchrig und verdorrt. Mit Gieß den Kiez hat das CityLAB Berlin bereits im Mai 2020 eine interaktive Plattform geschaffen, um den Stadtbäumen Berlins zu helfen und die Stadt bei der Bewässerung der Bäume durch die ehrenamtliche Arbeit der Zivilgesellschaft zu unterstützen. Nach gut drei Jahren wagen wir nun einen Rückblick und teilen die Geschichten drei weiterer Städte, die Gieß den Kiez in ihre Stadt geholt haben.

Erste Gehversuche und Launch im Frühling 2020

Bei der Gründung des CityLAB im Sommer 2019 bestand unser Team nur aus einer Hand voll Menschen, die sich das  Ziel gesetzt haben, Berlin mittels explorativer Prototypen zu einem lebenswerten, partizipativen und innovativen Ort zu machen. Dabei spielte die Nutzung von Open Source Software und Open Data bereits eine übergeordnete Rolle und wurde bei der Ideenfindung von neuen Prototypen stets mitgedacht. Der sich verschlechternde Baumbestand blieb auch unseren Kolleg:innen nicht verborgen und so stand schnell fest: wir wollen der grünen Infrastruktur Berlin helfen! Unter Nutzung des offenen, städtischen Baumkatasters, den Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes und den Pump-Standorten von Open Street Map ist nach einer  kurzen Entwicklungszeit ein erster Prototyp entstanden: Das Projekt Gieß den Kiez war geboren. Gieß den Kiez soll die Stadtverwaltung sowie engagierte Bürger:innen bei der Koordinierung der Bewässerungs unterstützen und somit die Stadtbäume langfristig schützen.

Allein in der ersten Woche nach dem Launch verzeichnete www.giessdenkiez.de knapp 20.000 Besuche und knapp 1.500 Baum-Gießungen von über 36.405 Litern Wasser, die von Nutzer:innen innerhalb der App eingetragen wurden. Zugegeben: einige der Besuche und Gießungen wurden durch unser Entwicklerteam ausgelöst. Dennoch ließ die Euphorie um das Projekt auch in den kommenden Monaten nicht nach – im Gegenteil! Im Sommer 2020 wurden wir vor allem durch den BUND Berlin, der Lieblingsbauminitiative und von der Senatsverwaltung für Umwelt danke eines intensiven Dialogs zum Thema Stadtbäume unterstützt. Dabei haben wir nicht nur viel auf dem Gebiet der Arboristik – Schutz, der Pflege und der nachhaltigen Entwicklung von Bäumen – gelernt, sondern konnten dieses Fachwissen vor allem auch mit unserer damals bereits 1.500 nutzern:innenstarken Community teilen. Gieß den Kiez wurde durch die lokal ansässige Presse in über 40 Print- Blog- und Radio-Beiträgen erwähnt, was zur Folge hatte, dass zahlreiche Besucher:innen zu unserem Gieß-Event im Rahmen der Berliner Freiwilligentage im Spätsommer 2020  kamen.

Ein Prototyp wird erwachsen

In 2021 ging die Arbeit an Gieß den Kiez mit großen Schritten weiter. Unter anderem haben wir mit zwei Challenges am Berlin Water Hackathon teilgenommen und sind dank eines Entwicklungssprints im Frühjahr mit mehreren großen technischen Verbesserungen an der App in das neue Jahr gestartet. Auf Grundlage des Community-Feedback der Berliner:innen wurde das Kartenlayout verbessert, die mobile Navigation durch die Einführung der Geolokalisierung vereinfacht, jeder Baum mit einer eigenen URL ausgestattet und das Stacked Bar Chart ins Leben gerufen. Mit Letzterem werden seither die Gießmengen eines  jeden Baumes nicht nur als Liste, sondern auch als Diagramm visualisiert. Darüber hinaus wurden die Bäume, die bereits durch die Grünflächenämter gegossen werden,  in der App mit den Caretaker-Labels versehen – wie im Falle vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, wo so bereits über 1.700 Bäume gegossen werden.

Mit den gesammelten Verbesserungen wuchs Gieß den Kiez aus den Kinderschuhen heraus und wurde zu einer robusten und vielseitigen Web-App. Doch damit nicht genug! Denn auch in 2022 wurde die App stetig verbessert. Die beiden wohl aufwändigsten, aber gleichzeitig auch meist gefragten Features wurden implementiert. So lädt die App mittlerweile sehr viel schneller und verbraucht nur noch 10 Prozent des Daten-Traffics (hier geht’s zum Blogartikel). Ebenso können User:innen seitdem ihre Gießungen in Hinblick auf Menge und Datum innerhalb der App anpassen und Gießungen nachträglich in die App eintragen.

Gieß den Kiez in Sachsen

Wie die Natur es so will, ist das Gießen von Bäumen ein Saisongeschäft. Während im Winter die Bäume kaum Photosynthese betreiben und auch unsere Community schläft, ging es bereits im ersten Jahr nach dem Launch – als im Frühling 2021 mit einer großen Überraschung in die nächste Runde: Leipzig Gießt wurde gelaunched! Angestoßen vom OK Lab Leipzig und später in Kooperation mit der Stiftung Ecken Wecken, wurde unser Open Source Code auf GitHub von Leipzig genutzt, um eine fast identische Plattform für die eigene Stadt umzusetzen. Während Max Brauer und Jörg Reichert von OK Lab Leipzig bereits 2020 über GitHub auf das Projekt aufmerksam geworden sind, wurden auch die Stimmen des Lösungsteams Baumfreundschaft innerhalb Stiftung Ecken Wecken laut:

“Die Engagierten waren unzufrieden damit, ihre Gießaktivitäten mühselig in einem Google Sheets Dokument pflegen zu müssen […] und ich fand es spannend, mal eine Anwendung zu redeployen, die nicht nur eine passive Webseite, sondern eine echte Mitmachplattform ist.” 

Jörg Reichert, OK Lab Leipzig

Kurze Zeit später gab es in Leipzig ein Treffen mit der Stiftung Ecken Wecken, Vertreter:innen vom Amt für Stadtgrün und Gewässer sowie regionalen Umweltverbänden – so konnte sichergestellt werden, dass die fachliche Seite mit an Board war. Auch wenn die Stadt Leipzig das Hosting der Plattform  nicht selbst übernehmen wollte, war klar, dass sich das offene Baumkataster für die Nutzung innerhalb der App gut eignet und man mit geballten Kräften das Projekt sowohl technisch als auch inhaltlich betreuen möchte. Neben der technischen Umsetzung galt ein besonderes Augenmerk der Partizipation im Viertel, berichten Thorsten Mehnert, Vorstand der Stiftung Ecken Wecken, und Quentin Kügler, Projektmanager Leipzig Gießt:

“Eine App gießt noch keine Bäume. […] Die Wirkung kann deutlich gesteigert werden, wenn zusätzlich zur App auch Community Building erfolgt, z.B. durch begleitende Aktionen und Projekte. Wir haben hier mit der Aktion „Tonnen an Fallrohre“ und dem Projekt „Kita-Kinder gießen Straßenbäume“ bereits Maßnahmen ergriffen, die wir weiter ausbauen.”

Thorsten Mehnert und Quentin Kügler, Stiftung Ecken Wecken

Durch viele innovative Beteiligungsformate und den direkten Austausch vor Ort in den Stadtvierteln, freut sich Leipzig über eine sehr rege Partizipation von Freiwilligen – egal ob groß oder klein.

Gieß den Kiez geht auf Reisen

Gieß den Kiez steht und fällt mit dem offenen Baumkataster – ohne diesen Datensatz gibt es keine App.  Berlin und Leipzig sind dabei bei weitem nicht die einzigen deutschen Städte, die sich über ein offenes, kommunales Baumkataster freuen dürfen. So haben im Frühjahr und Herbst 2022 zwei weitere Städte Kontakt zum CityLAB Team aufgenommen, um die Umsetzung von Gieß den Kiez in ihrer eigenen Stadt in die Wege zu leiten. Allen voran: Jens Winter-Hübenthal, Leiter von OK Lab Magdeburg und Thomas Werner von der Open Data Koordination bei citeq der Stadt Münster.

“Da es schon mindestens eine weitere Implementierung in der Stadt Leipzig gab, konnten wir hier auf Erfahrungen zurückgreifen. Die Unterstützung und die Offenheit ist großartig.”

Jens Winter-Hübenthal, Leitung OK Lab Magdeburg

In beiden Städten verfolgte man einen ähnlichen Ansatz wie in Berlin und Leipzig und wollte die App dazu nutzen, bereits lokal aktive Gruppierungen der Zivilgesellschaft beim Gießen zu unterstützen.

“Mit Gieß den Kiez (GdK) können wir in Münster das bereits sehr erfolgreiche analoge Projekt „Münster schenkt aus“ weiterentwickeln, bei dem das Grünflächenamt Wassercontainer im Stadtgebiet aufstellt, damit Bürger*innen die Bäume bewässern können. Und dass GdK eine Open-Source-Software ist, eine relativ gute Dokumentation besitzt, sowie einen modernen Technologie-Stack, das passt ebenfalls perfekt zu uns, da die Stadt Münster, wenn möglich, Open-Source-Software einsetzen möchte.”

Thomas Werner, Open Data Koordination bei citeq der Stadt Münster

Fazit und Ausblick

Unzählige Zeilen Code, hunderte E-Mails, Präsentation, regelmäßige Sprints und Austauschformate haben Gieß den Kiez zu dem gemacht, was es heute ist: ein Herzensprojekt, das sich in den klimatischen Diskurs einreiht und dabei den Einsatz von Open Source-Lösungen im städtischen Kontext vorantreibt. Das Projekt hat auf der einen Seite gezeigt, wie relevant das Thema Stadtbäume ist. Auf der anderen Seite aber auch Hürden bei der Nutzung von Open Data beleuchtet. Denn der Datensatz allein reicht nicht. Es braucht Menschen, die Projekte mit Herz verfolgen und den Sinn in der Sache sehen. Auch Thomas Werner kann sich über eine stadtinterne Umsetzung freuen, die direkt beim Grünflächenamt der Stadt Münster angesiedelt ist. Während Jens Winter-Hübenthal sich über mehr Unterstützung seitens der öffentlichen Institutionen freuen würde:

“Es gibt eigentlich keine Hürden seitens der Verwaltung. Allerdings bisher auch keine Unterstützung.”

Jens Winter-Hübenthal, Leitung OK Lab Magdeburg

Über den Mehrwert von Gieß den Kiez sind sich schließlich alle drei Städte einig. In Münster hat die Stadt selbst den Mehrwert der Anwendung erkannt und große Potenziale, denn:

“…für die bisherige Initiative des Grünflächenamtes zur Gewinnung von Bürgerinnen und Bürgern zur Unterstützung der Baumbewässerung wird das digitale Tool Gieß den Kiez eine perfekte Ergänzung darstellen. “

Thomas Werner, Open Data Koordination bei citeq der Stadt Münster

So wird die App in Leipzig ebenso als Ergänzung und Unterstützung gesehen:

“Ich denke, dass noch nicht alle in der Stadt, die potenziell Nutzer unserer App sein könnten, uns schon kennen. Auch wenn es wohl unrealistisch ist, dass man flächendeckend durch eigenes Gießen Bäumen retten kann, ist es doch eine sinnvolle Ergänzung zu den professionellen Gießfirmen. Außerdem schafft [Gieß den Kiez] Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels in der Stadtbevölkerung und führt vielleicht auch bei anderen umweltrelevanten Themen zu mehr Engagement.”

Jörg Reichert, OK Lab Leipzig

Während Leipzig und Magdeburg bereits über die Weiterentwicklung der App nachdenken, wie etwa durch einen Gamification-Ansatz oder die Anbindung anderer Datensätze, erprobt die Stadt Münster zunächst einen Piloten, bevor die App in 2024 mit einer Kampagne gelauncht werden soll. 

Bereits im vergangenen Jahr hat das CityLAB Gespräche mit der Stadt Paris geführt, die über eine Umsetzung der Anwendung im 17. Arrondissement nachdenken. Gieß den Kiez geht also auf Reisen und zieht in die große weite Welt. Wir sind gespannt, wo die Reise hingehen wird.

Weiterführende Infos:

Gieß den Kiez: www.giessdenkiez.de

Nutzerzahlen Dashboard: Link zu Grafana

Source Code: Link zu GitHub

Leipzig Gießt: https://giessdeinviertel.codeforleipzig.de/

Magdeburg Gießt: https://www.magdeburg-giesst.de